22
Nov
2008

Ist so etwas liberal?

Unter einer liberalen Gesinnung verstehe ich normalerweise eine weltoffene, innerlich freie Geisteshaltung mit Toleranz, Humor und einer Bereitschaft, auch mal 5 gerade sein zu lassen. Liberale sollten nach meinem Empfinden auch Sinn für Libertinage haben, was eine gewisse Kongruenz mit Luxus, Dekadenz, sexueller Ausschweifung, Dissidententum, unkonventionellem Lebensstil und Skurrilität bedeutet. Konstantin Weckers "Schafft Huren, Diebe Ketzer her und macht die Welt chaotisch, dann wird sie wieder menschlicher und nicht mehr so despotisch" ist in diesem Sinne eine urliberale Aussage.
In dem von mir unten schon verlinkten Narrenschiff-Beitrag schreibt hingegen ein Kommentator, der mir bisher bei den BLOGs noch nicht untergekommen war Folgendes (um gleich zu sagen, nicht ohne Widerspruch und Spott zu ernten):


"Heute steht der Geist nicht einmal mehr links.”

… so ist es und da nutzt auch die tiefere Erkenntnisse vorgaukelnde verquaste Ausdrucksweise nichts.

Tip: Einfach einmal selbstkritisch hinterfragen, weshalb man denn eigentlich gegen den “bösen Kapitalismus” ist. Anschliessend dann die infantile Furcht vor der “Selbstvermarktung” in sich bekämpfen und nach erfolgreicher Selbsttherapie dann etwas vernünftiges lernen, sich ein nettes Frauchen anlachen und in einem gut bezahlten Job Karriere machen und endlich Frieden mit der Aussenwelt schliessen, die gar nicht so böse ist, wie zuvor geglaubt. Frieden schliessen mit dem Establishment, das haben die Linken in den 1960ern und 1970ern euch nämlich bereits vorgemacht, nachdem sie ebenfalls den marxistischen Staatsfetischismus im Namen des “Ni dieu, ni maitre” überwunden hatten. Wie gesagt sich im Kreise drehen nennt man das.

Wie auch immer man das ewige Kreisen der Jungspunde letztendlich bewerten will, ich sage Willkommen im Club zu allen, die zur offenen Gesellschaft und zur freiheitlichen Wirtschaft etwas Konstruktives beitragen und zugleich mit allen ihren Kräften dabei helfen die rotlackierten Nazis der Linkspartei und ihr braunlackiertes Pendant auf der Rechten im wahrsten Sinne des Wortes zu bekämpfen."



- Was das hier geäußerte Gesellschaftsbild angeht, würde ich dies als autoritär-rechtskonservativ, sehr altbacken und ultraspießig bezeichnen. Falls so etwas heute unter "liberal" firmiert, frage ich mich, was denn dann rechts sein soll. Beginnt Konservatismus unmittelbar links der NPD? Oder sollte frau auf das ganze Bloggergesülz einfach nichts mehr geben, wenn es um Politik geht?

Trackback URL:
https://netbitch1.twoday.net/stories/5338674/modTrackback

stefanolix - 23. Nov, 10:43

Widerspruch ;-)

Du schreibst, wie Deiner Meinung nach ein Liberaler empfinden sollte, nimmst willkürlich einen von tausenden Kommentaren aus unserem Blog und stufst diesen Kommentar als »autoritär-rechtskonservativ, sehr altbacken und ultraspießig« ein.

Nein, »so etwas« firmiert nicht unter »liberal«. Aber darauf hättest Du doch auch selber kommen können;-)

Und inwiefern spricht das nun gegen BLOG? Es ist nicht liberal, wenn wir Kommentare akzeptieren, die nicht mit Deiner Vorstellungen von Liberalen übereinstimmen?

netbitch - 23. Nov, 11:50

Na ja, was das Willkürliche angeht: Auf Emmet Crogan hat außer Che nur der alte dct-Kommentator Urfaust direkt geantwortet. Ob Emmet Crogan oder die Stimme aus dem Off (die ich als rassistisch und ins rechtsradikale Umfeld gehörig einordnen würde), bei arg reaktionären Standpunkten kommt von den Blogbetreibern bei Euch oft keine Antwort, bei explizit linken hingegen fast immer. Das fällt schon auf.

@Wie meiner Meinung nach ein Liberaler empfinden sollte: An einem Blog, das lebensweltlich und nicht nur formal-politisch liberal ist mangelt es schon. Falls nicht Kritik und Kunst oder Googlehupf so einzuordnen sind, die lese ich zu selten, um mir da ein Urteil bilden zu können. Modeste fiele mir noch ein, aber die ist wiederum zu literaturzentriert. Die spannende Frage ist: Sind das für Euch noch Liberale?
stefanolix - 23. Nov, 13:05

Daß keiner der BLOG-Autoren direkt geantwortet hat, ist sicher nicht als implizite Zustimmung zu werten. Möglicherweise war es einigen nicht wichtig. Anderen ging es vielleicht wie mir: ich habe einfach zu wenig Zeit. Fundamentale Schlüsse sollten eigentlich nur aus Artikeln oder namentlich gezeichneten Kommentaren gezogen werden. Du siehst ja bei SR, wie schnell dann wieder welche auf den Zug aufspringen und polarisieren.

--

Warum müssen Frauen immer Gretchenfragen stellen? ;-)

Modestes Blog habe ich lange nicht mehr gelesen. Ich hüte mich also vor einer vorschnellen Einordnung. Ich könnte mir vorstellen, dass sie die »Süddeutsche«, die »FR« oder die »taz« liest, aber sie schreibt ja eher selten über Politik oder Wirtschaft.

Googlehupf würde ich als bürgerrechtsliberal einordnen. »Kritik und Kunst« sagt mir bis heute leider gar nichts.
netbitch - 23. Nov, 23:19

Frauen müssen immer Gretchenfragen stellen, weil Gretchen eine von uns war. Modeste bezeichnete sich selbst mal als liberal. Und ist Euch ansonsten sicher sehr fernstehend. Kritik und Kunst ist der hier

http://kritik-und-kunst.blog.de

Googlehupf ist sicher bürgerrechtsliberal, ja. Ich würde Jolly Rogers nicht zustimmen und Euch als nichtliberal bezeichnen, aber, hey man, Liberalismus ist viel mehr als Euer enges Blogumfeld, und den Begriff auf wirtschaftsliberales Denken im Umfeld der Österreichischen Schule, der Chicago Boys und der FDP einzugrenzen, das ist Begriffsverstümmelung. Open Your Mind!


Ich bin gar nicht liberal, ich bin auch nicht linksextrem wie der von mir sehr geschätzte Che und nicht linksliberal wie - in ganz unterschiedlichen Schattierungen Momo, Dr. Dean oder Freiburger Thesen, ich würde mich als Chaotin bezeichnen. In dem Sinne, das Chaos höchst produktiv sein kann. Ein bißchen grün (aber so, wie die Grünen in den Achtzigern waren), ein bißchen radikalliberal (nicht im Sinne von wirtschaftslibertär, sondern radikal bürgerrechtsliberal), ein bißchen feministisch und immer genusshungrig und antiautoritär. Ich find das ein schönes Programm :-)
stefanolix - 24. Nov, 08:27

Ich habe ja in den letzten Jahren auch dazugelernt und vermeide allzu vorschnelle Einschätzungen. Modeste würde ich vorsichtig als linksliberal einschätzen, das wollte ich mit der unterstellten Wahl der Tageszeitung andeuten. Aber sie schreibt eher ein literarisches als ein politisches Blog.

Ich kann Dir nur zustimmen: Liberalismus ist nicht auf das Spektrum der Blogger bei BLOG begrenzt. Das haben wir aber auch nie behauptet. -- Hätte ich keinen offenen Geist, würde ich mich nicht auf das Wagnis einlassen, bei »SR« und hier mitzudiskutieren. Man muss schon ziemlich offen sein, wenn man sich trotz aller plumpen Störversuche nicht davon abbringen lässt;-)

Ich kann die Bürgerrechte nicht von der wirtschaftlichen Freiheit trennen. Bürgerrechte und wirtschaftliche Freiheit sind nur in einem rechtsstaatlichen Rahmen definiert und geschützt. Ohne diesen Rahmen funktioniert keines von beiden. Das scheint mir immer noch die Gesellschaft zu sein, in der sich Leute wie Du und ich, die anderen BLOG-Autoren, Paradiesvögel wie Momorulez, Grantler wie der Nörgler (und viele andere) am besten verwirklichen können.

Ich wünsche allen, die bis hierher durchgehalten haben, eine gute Woche ...
netbitch - 24. Nov, 16:34

Danke, Dir auch! Wieso sich solch reaktionäre Leute auf welchen Blogs einfinden bleibt aber immer noch eine offene Frage. Und auch unter den konservativen Bloggern und Kommentatoren sind ja ausgerechnet die wirklich niveauvollen und reflektierten, so Leute wie Ralph und C.Lapide irgendwann weggeblieben.
First_Dr.Dean - 12. Dez, 08:29

Hauptsache: GEGEN LINKS (das wäre jedenfalls eine Erklärung)

Die Frage nach dem "Warum" ist m. E. sehr einfach zu beantworten:

Es ist die dezidiert anti-linke Attitüde. Diese lockt auch Geistesgenossen vom rechten Flügel, denen es zugleich sehr gefällt, wenn sie sich im antibuerokratischen B.L.O.G.-Umfeld (und anderswo) mit liberal daherkommender Soße antünchen können.

Einfach nur "rechts" ist halt unsexy.

Umso mehr Freude bereitetet es dann, wenn der rechte Spießer sich dann stattdessen "liberal" nennt, um anschließend umso entschiedender gegen alles anzuwüten, was auch nur einen Hauch weit links ist.

Dazu kommt eine sozialdarwinistisch-rechts"libertäre" Wirtschaftsgesinnung, die man sich dort in einer sehr speziellen ideologischen Ausrichtung ausgerechnet als Anfangs- und Endpunkt von "Freiheit" denkt.

Dass man auf diesem Weg bereits echte liberale Blogger wie z. B. Zeineku (dieser ist kein Linksliberaler) gründlich verschreckt, das bekommen sie nicht mit, unsere sehr speziellen Blogliberalen...

che2001 - 12. Dez, 11:01

Das lesen wir ja gerade hinsichtlich der Griechenland-Krawalle. Sowohl die Gastgeberin hier als auch Monoma als auch meine Wenigkeit bemühten sich um eine sozioökonomische Analyse des Konflikts und die Frage, ob ähnlich, wie das mit den Brotpreisrevolten der 80er schon mal war nun, ausgelöst durch die Finanzkrise eine neue Welle sozialer Revolten/Aufstände einsetzt. Ja, und ich habe auch einen Aufruf zu Demos gegen Polizeiübergriffe bzw. für einen Sturz der griechischen Regierung verlinkt sowie Quellen, aus denen die völlige Zerrüttung der griechischen Staatsfinanzen, die wirtschaftliche Inkompetenz der griechischen Regierung und die aussichtlose Situation hochqualifizierter junger working poor in Griechenland hervorgeht. Von Indimedia abgesehen ganz normale liberale bzw. linksliberale Presse, z.B. La Stampa. Diese Texte waren nicht links, sie waren auch kein schwer zugängliches Expertenmaterial, es waren ganz gewöhnliche Zeitungsartikel zu den sozialen Hintergründen des Aufstands.


Mit dem Resultat, dass ich da quasi zu den Steine- und Mollischmeißern hinzugerechnet wurde und dass sich die Blogger dort in "Die sollen mal arbeiten gehen"-Sprüchen im Stil von Spießern in den 70ern ergehen und dabei Klischeevorstellungen über Punks und Autonome hier auf eine heterogene, eben auch zahlreiche arbeitende Arme umfassende Protestbewegung in einem der wirtschaftlich schwächsten Länder der Euro-Zone übertragen.

Déja vu: In den 1980ern saßen wir mal in einem Seminar zum Thema "Die vergessene Revolution 1830-32" und lasen Zeitungsartikel von damals, in denen Maschinen- und Wachenstürmer als blindwütige Verbrecher dargestellt wurden, und unser Dozent meinte: "Das ist wie mit der Hafenstraße oder der Startbahn West. Man versucht, die politische Dimension zu negieren und das Ganze auf individuelles Chaotentum herunterzubrechen." Genau das passiert wieder in einem Bloggerstammtisch, der sich antibürokratisch nennt und redet wie die Schill-Partei.
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