bersarin (Gast) - 28. Jan, 20:34

„Schon Goethes Werther wird heute eher als umständlich und anstrengend zu lesen denn als elegant wahrgenommen. Nehmen wir aber Greiners Spracherhaltungsparadigma so richtig ernst, so müsste das Buch ‚Wunder der Welt. Die Reisen des Marco Polo‘ bis heute den deutschen Titel: ‚Dies sind die Aventiuren des Markus Polus von Venezien, des groszen Landtfahrers, der daselbst viel woanders gewesen ist‘ tragen, denn so hieß seine deutsche Fassung mal.“

So ist es. Besser wär‘s, man behielte diesen Titel bei, weil er nicht nur poetisch klingt, sondern genau diese Fremde einer ganz anderen Welt zum Ausdruck bringt. Was für ein wunderbarer Titel! Im Original, wobei die Quellenlage nicht ganz gesichert scheint, heißt es: „Le livre de Marco Polo citoyen de Venise, dit Million, oú lón contre les merveilles du monde“.

Doch Fremdheit ist heute kaum gewünscht und alles hat gleich und genormt auszusehen und unmittelbar sowie verständlich daherzukommen, damit es begreifbar und sofort verfügbar ist. Literatur ist jedoch einer der wenigen Orte, wo diese Erfahrung eines Anderen noch möglich ist. Gelungene Kunst ist (unter anderem) von der Grundfarbe schwarz, sie spielt mit den Momenten des (sprachlichen) Entzugs, der Sinndevianz. Dieses Diktum gilt noch immer. [Und dieser Aspekt einer sich entziehenden Kunst, hat, qua Kritischer Ästhetik, die das reflektiert, übrigens ebenfalls viel mit einer befreiten Gesellschaft, mit der Möglichkeit von Utopie als Vorschein zu tun. Insbesondere Benjamin und Adorno zeigen das in ihren Schriften, Bloch auch.]

Ja: Das Wesen einer bestimmten Art von Literatur ist es (unter anderem), anstrengend und schwierig zu sein. Ob das nun Ovids Metamorphosen, „Der abenteuerliche Simplicissimus“ oder die Ilias sind. Vermittelt über das Fremde, über eine andere Sprache, die nicht sofort zugänglich ist, können sich Räume von Erfahrung öffnen.Und das eben bedeutet: Kritik. Für die, die das nicht mögen, gibt es das Fernsehen. Zum Glück wird in dieser Gesellschaft für alle gesorgt.

Soviel zur Belletristik. Das heißt nicht, dieses unsägliche Wort müßte in Kinderbüchern nun so geschrieben bleiben, wie es einmal geschrieben wurde. Über die Probleme, die sich bei solchen Tilgungen jedoch ergeben, habe ich mir erlaubt, in meinem Blog etwas zu schreiben.

Was gegen Mekonnen Mesghena an Haß geäußert wurde, das zeigt in der Tat gut auf, wie tief Alltags-Rassismus hier in der Gesellschaft noch verankert ist.

Die Frage des cui bono?, die halte auch ich für zentral. Und zwar nicht nur in bezug auf Diskussionen und Themen, die aktiviert und auf eine bestimmte Weise zur Darstellung kommen oder aktiviert werden.

Zu den Texten von Momorulez in letzter Zeit‚ fällt mir nur noch ein, daß bei ihm die Schranktassenräuber zu Besuch gewesen sind.

@ clair(e) de lune

„Wie Mely Kiyak richtig darlegt, sind Astrid Lindgrens Bücher auch dann noch rassistisch, wenn sie von ‚Südseekönigen‘ handeln.“

Es gab Ende der 60er bis in die 70er eine Zeit, da wurde die Pippi Langstrumpf als emanzipiertes Mädchen gesehen, das es den Männern vormacht. Frech, rotzig gegen die Obrigkeit (Polizei und Erzieherin), andere Kinder aufhetzend, in der Schule sich nicht benehmend. Wie Zeiten und die Brillen, durch die Menschen blicken, sich doch ändern.

Wo übrigens legt Mely Kiyak dar, daß Lindgrens Bücher rassistisch seien? In ihrem Kommentar in der „Berliner Zeitung“ zumindest schreibt sie‘s so nicht.

che2001 - 29. Jan, 15:39

Chapeau an Netbitch und Bersarin, hervorragende Beiträge. Auch die Kritik an meinem eigenen Artikel ist völlig richtig.
bersarin (Gast) - 29. Jan, 17:12

Vielen Dank. Wobei ich in meinem Kommentar, trotz einer leichte Kritik, vergaß Netbitchs Text zu loben. Doch gehe ich mit Lob behutsam, gar sparsam um, denn wenn ich vor einer Frau stehe und sie lobe, dann rissen Frauen mir meist - ach was: häufig - das Hemd vom Leib, fielen über mich her, stießen mich zu Boden und verlangten Dinge von mir, die ich als Theorietiker und Bewohner des Grandhotel Abgrund nicht tun kann. Da, wo ich Theorie lieferte, wollten Frauen zu der Theorie noch hinzu pure Lust. Der Kontrafaktizität solcher besten aller möglichen Sinnes-Welten bin ich in meinem Alter nicht mehr gewachsen. Bei der Frage "Sexualität oder Wahrheit?" entschied ich mich für die Theorie. [Aber bereits bei dem Schulspiel "Wahrheit oder Pflicht?" stellte ich mich in der siebten Klasse regelmäßig ungeschickt an und begann Metadiskurse zu führen. Nur bestimmte Mädchen mochten dies.]

Aber ich schweife irgendwie ab.
clair(e) de lune (Gast) - 29. Jan, 18:55

che2001 - 29. Jan, 22:25

Danke dafür, ganz erhellender Beitrag!

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