John Dean (Gast) - 23. Sep, 15:37

Ich denke doch, das man - vorsichtig - Kritik üben kann, mehr noch, sogar sollte. Wenn sich ein bestimmter feministischer Flügel (ich nennen ihn mal: "Awareness-Feminismus") aufmacht, die Deutungsvormacht in allen sozialen Fragen zu beanspruchen, dann ist das einfach panne.

Panne ist auch, wenn derlei - sich zumeist hypersensibel gerierende Leute nicht die geringsten Probleme haben, andere Linke und andere Feministinnen (z.B. Rönicke) in die Pfanne zu hauen - mit widerlichen, kontrafaktischen Behauptungen.

Ich sehe auch Stärken dieses "Awareness-Femnismus". Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich betonnen. Dummerweise haben die meisten (!) Vertreter/innnen dieser Richtung zugleich eine Art "separistischen Reflex". Damit meine ich, dass sie als typische Problemlösungstaktik den Rückzug ins eigene politische Biotop propagieren - an Stelle einer echten Auseinandersetzung.

Falls es irgendwen interessiert (ich tippe mal, dass das nicht der Fall ist), könnte ich einfach mal eine beliebige Woche der Mae-Mannschaft systematisch analysieren - auch dahingehend, ob dieser Rückszugsvorwurf von mir tatsächlich ein Fundament hat (da bin ich mir noch etwas unsicher).

Geradezu prototypisch für diese Art von "separistischen Reflex" des Awareness-Feminismus ist eine Frau, die sich selbst "Schulden" nennt. Ihre aktuelle Story ist die, dass sie eine gemischte Party besucht hat, und da wurde sie und ihre Freundin - Skandal - doch wirklich und wahrhaftig einmal kurz von irgendwelchen fremden Männern angesprochen. Mehr war nicht.

RIESENSKANDAL!!! Wie können die es nur wagen, auf einer Party, also ausgerechnet auf einer Party fremde Menschen anzusprechen? Vielleicht sogar noch sehr höflich, was den Tatgesichtspunkt der besonderen Heimtücke genügt?

So, nachdem also der Awareness-Aspekt ausreichend von Frau Schulden dargestellt wurde, verkündet sie stolz und zufrieden ihren Lösungsvorschlag: Künftig wird sie alle Parties meiden, wo sich irgendwo ein Mann aufhält.

Problem gelöst! Und das ganz irre daran ist, dass das dann gleich als empfehlenswertes, allgemeines Verhalten gepriesen wird. Es ist nicht so, dass ich Rückszugsverhalten grundsätzlich panne finde, aber als generelles Muster?

Ich glaube, mensch sollte derartige Handlungsstrategien ein Stück weit von der Person abhängig machen. Nehmen wir einmal theoretisch an, ich wäre kein kämpferischer, geselliger, aber etwas auf die Hunde gekommener, etwas verklemmter und intelligenter Typ (der ich bin), sondern sagen wir eine leicht autistische (Asperger) hoch kreative lesbische Frau, die von Ängsten geprägt ist und generell einem massiven Fremdheitsgefühl gegenüber der Welt und gegenüber sozialen Siituationen jeglicher Art:

Dann wäre so ein queerer Awareness-Feminismus, mit einem starken Hang zu einem separistischen Reflex sogar mein persönliches Optimum! Weil ich dann in diesem Fall einfach so sein kann wie ich bin. Ich suche mir also Leidensgenoss*innen und verfluche die Welt, sowie mindestens zwei Drittel aller Menschen, mit denen ich jemals zu tun hatte. Ich bewege mich nur noch dort, wo meine Vorstellungen weitgehend geteilt werden. Basta! Alle anderen sind Schweine, homophobe Dreckskerle usw. usf.

Effekt: Es geht mir gut! Alles, was mich stört, halte ich mir einfach so weit vom Leibe und Geist, wie es nur geht.

(ob das dann am Ende aber eine wirklich realistische, zudem wirklich politische, und auch politisch wirksame, d.h. und auf die Veränderung der Wirklichkeit gerichtete Seins- und Wahrnehmungsweise ist, das ist am Ende noch einmal eine andere Frage: und das, obwohl in diesem Fall dank umfassender Awareness fast alles von mir auf eine spezifisch politische Weise betrachtet wird)

Problem daran, unter anderen: Die Bündnisfähigkeit geht dabei flöten. Und zwar fast völlig.

ziggev logged in (Gast) - 25. Sep, 14:54

also, ich fand das gar nicht so abwegig, dass (musikalisches) Interagieren mit etwa Flüchtlingen Protagonisten, die hinter einer unmenschlichen Praxis des Abschiebens stehen, in - wenn auch realistisch betrachtet - uneffektivem Maße vermenschlichen könnte. Ich gebe allerdings zu, dass ich mich nur zu gerne der Illusion hingeben würde, dass ein Obama, der Stevie Wonder und andere Größen der amerikanischen schwarzen Musik zu sich ins white house einläd, eigentlich ein besserer Mensch sein müsste, und es mir dabei schwer fällt, Obama mit demselben amerikanischen Präsidenten zu identifizieren, für dessen Außenpolitik mittlerweile die Bezeichnung "killing business" in den Staaten die Runde macht.

Dass Musik oder Kunst allgemein nur vermeintlich bessere Menschen hervorbringe, ist als falsche Vorstellung ja bereits zum Gemeinplatz geworden, dergestalt, dass nie ohne Exklamation die Feststellung gemacht wurde, dass ausgerechnet das "Volk der Dichter und Denker" zum Holocaust sich als fähig erwiesen hatte. Ein "Volk", ein Land, das immerhin einen wie Beethoven hervorgebracht hatte. (Es wird übrigens gemunkelt, dass über dessen spanischen Vorfahren durch Beethovens Adern afrikanisches Blut floss.)

Ohne Momo einen solchen Gedankengang unterstellen zu wollen, wäre es in seinem ihm nachgesagten Argumentationsstil des "die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen" konsequent, im (unzulässigen) Umkehrschluss zu folgern: Gerade deshalb! Weil in Europa ein solches interagierendes Musizieren nicht tradiert wurde, stattdessen hierarchisch organisiertes mit vorgegebenen Noten und "allmächtigen" Chefs am Dirigentenpult, ergab sich eine Situation, die dem Holocaust den Boden bereitete.

Wie dem auch immer sei, lässt sich imho nicht so leicht von der Hand weisen, dass Musizieren dazu beitragen kann, andere Menschen nicht vorurteilgeleitet in Schubladen einzuteilen & unzulässige Kategorisierungen auf sie anzuwenden - und in der Folge dementsprechend zu behandeln.

So unplausibel ist es dann nicht, anzunehmen, dass bei direkter Interaktion, also hier beim kollektiven Improvisieren, dieser Effekt sich umso unzweifelhafter auf die Beteiligten auswirken vermöchte, denn damit in einer Gruppe ein musikalisches Gebilde gemeinsam hervorgebracht werden kann, ist nicht das abstrakte Medium einer Komposition erforderlich, zu dem sich alle, die sich zu dessen konkreter Realisierung zusammengefunden haben, in dem Sinne auf gleiche Weise verhalten, als es für jeden/jede dasselbe zu schaffende Objekt ist, auf welches sie sich und über welches sich sich auf die schöpferischen Akte der Teilnehmenden beziehen.

Bei improvisierter Musik tendiert gewissermaßen jener "abstrakte Gegenstand" zu verblassen, denn an dessen Stelle tritt der individuelle Beitrag zum Gesamtgeschehen, das Individuum ist also gezwungen, sich persönlich zu engagieren, sich als Subjekt zu anderen Subjekten zu verhalten. Es ist die eigene Haltung essentiell. Allein dies - das "selbstkritische, reflexive Erfordernis" - dürfte sich durch den anderen Stellenwert des "abstrakten Gegenstandes" und den höheren der individuellen Interaktion viel konkreter auf das Selbstverhältnis der so agierenden auswirken. Und damit, weil ganz unmittelbar und konkret, auf die Haltung anderen gegenüber. Nicht über eine abstrakte Idee sondern über Interdependenz und Intersubjektivität, die für den Prozess der Herstellung eines musikalischen Gebildes bei solcher musikalischer Praxis charakteristisch sind, werden Schubladendenken nach Vorurteilen und unzulässiges "Kategorisieren" von Menschen nicht nur geschwächt sondern obsolet.

Und da Momo gerade in dem kurzen verlinkten Text - "Gedanken ziehen vorbei wie überflüssige Kommentare. Es rauscht, fortwährend, doch es rauscht vorbei. Während ich ganz in Farbe mich artikuliere ..." - eher Notate aus seinem subjektiven Erleben liefert, Bewusstseinsvorkommnisse assoziativer Natur wiedergibt, was natürlich in jeder Weise in einem Blog zulässig ist, stellt sich weniger die Frage nach "politischem Bewusstsein", oder ob es sich um Utopien eines Naivlings handelt, dies würde bedeuten, alles über den Leisten der Kategorie des Politischen zu spannen, was dazu verführen kann, nicht nur nach dem "politischen Bewusstsein" zu fragen sondern infolge einer Hypotrophierung des Primats des Politischen, die hier verfehlt ist, sich Rückschlüsse über die psychische Verfasstheit des Autors zu erlauben, vielmehr handelt es sich um eine Improvisation. Und für eine solche Improvisation, für ein solches freie Assoziieren ist es nicht erforderlich, sich zu dem betreffenden "Material" - politische Verhältnisse, Tonmaterial, Farbauftrag - im Sinne eines Allgemeinen zu verhalten, sondern es handelt sich um das Wagnis, eben dies einmal nicht zu tun. Ich glaube, irgendein Jazzmusiker hat einmal gesagt, Improvisieren sei eigentlich ein Synonym von "Wagnis", "etwas zu wagen". Die falsche Kategorie - die des Politischen - auf ein solches Unterfangen anzuwenden, muss dieses als naiv erscheinen lassen, welche "Naivität" unter dieser Kategorie eine psychologische Erklärung zu erheischen scheint. Dabei handelt es sich bei dem betreffenden Text bereits um eine psychologische Selbstauskunft des Autors! Ein solches psychologisierendes Vorgehen ist daher m.E. verfehlt, denn es blendet das subjektive Erleben des Autors, von dem er berichtet, aus. Eigentlich müsste das auch klar sein, denn Momo baut ja bereits selber einem solchen gewaltsamen Missverstehen dadurch vor, dass er sein eigenes Verhältnis zu dem "Allgemeinen" der Musiktheorie und ihrer Zeichensprache durchaus als mehr oder weniger naiv charakterisiert.

Inwiefern er er allerdings bei seinen Anspielungen an politische Topoi einem Selbstmissverständnis unterliegt, er also wähnt, damit bereits in einen politischen Diskurs eingestiegen zu sein, lässt sich anhand des von ihm vorgegebenen "Materials" schlechterdings nicht entscheiden.

Hier bin ich auch oft unsicher: Ob er glaubt, bereits dadurch, dass er außerhalb seines freien Assoziierens miteinander Unverträgliches innerhalb desselben zueinander in Beziehung setzt, politische Aussagen getroffen zu haben. Dies ihm nachzusagen, ich deutete es bereits an, wäre m.E. eine unzulässige (psychologisierende) Extrapolition.

Kein Problem ist es aber, mit ihm über ein paar musikalische Topoi zu improvisieren - über die große 7 u. die None in "Girl from Ipanema" -, auch wenn oder gerade weil sie sich als durchaus "theoretisch" darstellen, denn es wäre ein Trugschluss, irgendeinem Zugang zu diesem "Allgemeinen" vor einem anderen den Vorrang einzuräumen.

Ich wiederhole mich zwar, aber nochmal:
"Gedanken ziehen vorbei wie überflüssige Kommentare. Es rauscht, fortwährend, doch es rauscht vorbei. Während ich ganz in Farbe mich artikuliere ..."
Es liest sich eher wie ein Tagebuch denn als politisches Manifest.
ziggev logged in (Gast) - 26. Sep, 11:26

- - - sorry. wenn schon so eine häßliche Substantivierung, dann auch bitte richtig: Hypertrophierung bitte statt Hypotrophierung (hatte ich extra recherchiert, dass es beide Wörter nicht im Duden gibt).

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