che2001 - 23. Jul, 16:18

Nein, was timanfaya meint, ist etwas völlig Anderes. In vielen Biobüchern, wie ich oben gezeigt habe, auch in einem Anthropologie-Fachbuch, das sich an Biologie- und Medizinstudenten richtet, ist die Rede davon, dass Zwillingsforschungen den Beweis für die Erblichkeit von Intelligenz und bestimten Charaktereigenschaften liefern würden. Das steht da so, die einzigen Studien, die eine repräsentative Zahl von Zwillingen einbezogen haben, sind aber die Untersuchungen Cyril Burts, die dieser frei erfunden hat, nachdem der Brand seines Labors ihn um sein wissenschaftliches Lebenswerk gebracht hatte. Arthur Jensen hat diese gefakten Ergebnisse dann in politischer Absicht veröffentlicht. Ich weiß noch, wie das so um 1980 herum unter der Überschrift "Ein Zwilling weint selten allein" durch Stern und Geo ging, wo die an sich schon erlogene Aussage noch dahingehend verplattet wurde, dass für Zwillinge ähnliche Schicksale postuliert wurden: Wenn ein eineiiger Zwilling, der bei der Geburt vom anderen Zwilling getrennt wurde, sich in Australien ein Bein bricht, bricht sich der andere Zwilling im gleichen Jahr in Schweden einen Arm. Also, das hat auch Jensen nicht behauptet, das haben Sensationsjournalisten erst draus gemacht, aber es fand willige Leser, vor allem Grundschullehrer, die gerade daran verzweifelten, dass ihre 68er antiautoritäre Pädagogik nicht funtionierte und deren Gehirne deshalb weich genug gewaschen waren, um Jensens Gewäsch aufzunehmen, und konservative Bildungspolitiker, die im Kulturkampf gegen Gesamtschulen und Orientierungsstufen standen und jetzt die Argumente fanden, die sie bislang vergebens gesucht hatten. Es war wie beim NE-Hype: Eine Lüge machte dadurch Karriere, dass sie oft genug weitererzählt und vor allem zu einer bahnbrechenden Sache hochgejubelt wurde. Dass jetzt in teilweise anderen ZUsammenhängen wieder hochschwappt, ist sicher kein Zufall. Ich sehe es im Zusammenhang mit neoliberaler Politik: Psychoanalyse, Marx, allem soll der Garaus gemacht werden, gleichzeitig feiert alles fröhliche Urständ´, was von einer Determiniertheit des Menschen ausgeht. Die wollen battle of minds gewinnen. Orwell hat ja die Arbeitsweise des Wahrheitsministeriums beschrieben, Entsprechendes betreiben think tanks und bestimmte wissenschaftliche Schulen auch im demokratischen Staat.

timanfaya - 25. Jul, 09:37

ich sprach nicht davon, daß irgendwer von geburt an schlauer ist als andere. da mag es eine veranlagung geben [genau wie bei sportlichen aktivitäten], die jedoch ohne förderung verkümmern. aber allein das ist der umstand, der uns nicht gleich macht. da kann ich hundert jahre üben, ich werde niemals fußball spielen können wie zidane. wer die körperlichen unterschiede akzeptiert und das bei geistigen veranlagungen negiert ist für mich geistig verbohrt.

ebensowenig sprach ich davon, daß diese veranlagungen genauer bestimmbar seien. ich sagte nur, daß es welche gibt [darunter sehr unterschiedliche marotten]. die zwillingsbeinbruchgeschichten und ähnliches sind hingegen für jeden logisch denkenden menschen eine beleidigung. prädestinationen sind außerhalb von umfangreichen dna auswertungen [die hoffentlich nie eintreten] wissenschaftlicher blödsinn. und genau da fängt der rassismus an.

ich sprach auch nicht exakt davon, daß steinzeitmenschen in höhlen lebten. wie das wirklich war weiß ich durchaus. ich setzte ein "vereinfacht ausgedrückt", voran, was abstrahiert und sinnbildlich etwas ausdrücken sollte [evolutionsdruck], wofür man auch einen roman hätte schreiben können.

thematisch sehe ich das alles nach wie vor etwas anders. für jede studie gibt es eine gegenstudie, logisch. und ich meine keine alten und bekanntermaßen erfundenen kamellen von 1980. aber für die weltformel ist hier eh zuwenig platz ...


p.s.:jenseits des themas sehe ich in einigen argumenten ein anerlerntes und sicher nicht angeborenes verhalten. dinge, die nicht in ein - sagen wir mal linksorientiertes gesellschaftsmuster passen - sind bei nach wie vor sehr vielen menschen automatisch dem rechten flügel zuzuordnen. das ist für mich anchronistisch und kurzsichtig. die idiotie des klassenkampfes und ähnliche gesellschaftliche schwarz-weiß infantilismen des 19. und 20. jahrhunderts sollten eigentlich inzwischen etwas mehr reflekton gewichen sein. stattdessen: schublade auf, fertig. ein beispiel für diese problematik ist die inhaltliche beschäftigung mit den ursachen, gründen und mechanismen, die zur katastrophe bis 1945 führten. da konnte man noch so urdemokratisch sein, sobald man ein "falsches" argument anführte hatte man schon den sympathisantenstempel auf der stirn. das hat sich zum glück in den letzten jahren etwas gebessert, war aber jahrelang die ursache für eine teilweise sehr fragwürdige und vor allem unehrliche geschichtsaufarbeitung.

übertragen auf das thema ist man da leider schnell bei mengele, der bittere beigeschmack läßt sich nun mal nicht in luft auflösen. aber man sollte sich geistig so frei machen können, daß zwillingsforschung nun mal nicht zwangsläufig auch die gleichen oder ähnlich gelagerte beweggründe haben muß. die ohnehin sehr schwierige problemstellung der differentiellen psychologie läßt sich bspw. ohne die ergebnisse dieser forschung sonst niemals lösen.

im kleinen lebt dieses schubladen-verhaltensmuster also weiter fort. irgendeine theorie die gesellschaftlich nicht links ist?! ab in die rechte brauchenwirfüreinewahlneoliberalblablakiste oder ähnliches und zum protest das hohelied der gleichheit anstimmen.

das ist wieder sehr vereinfacht und plump verallgemeinert ausgedrückt und wird sicherlich auch dementsprechend zerrissen. aber es ist mein eindruck, der sich leider immer wieder bestätigt. ich gehöre keiner partei an und bin auch nur kopfpolitisch. aber ich ärgere mich einfach immer wieder, wie sich meine eigene gesinnungsrichtung [eher links] immer wieder durch verbohrt dogmatische ansichten unglaubwürdig macht.
che2001 - 30. Jul, 16:26

Dann, lieber timinfaya, unterscheide bitte zwischen den Aussagen von workingclasshero und mir. Dass es ein Projekt "Gegenaufklärung" der Neuen Rechten gibt, lässt sich leider nicht bestreiten. Sind Freud (ein gesellschaftspolitischer Skeptiker, der von der Dominanz frühkindlicher Prägung ausging) oder die dem Liberalismus klassischer Prägung zugrundeliegende Vorstellung einer primären Gleichheit der Menschen bei Verschiedenheit ihrer Charaktere bereits links? Dann wäre alles links, was dem neu-rechten Konzept der biologisch determinierten Ungleichheit nicht entspricht. Die Soziobiologen in den Humanwissenschaften gehen ja nicht mehrheitlich davon aus, Gesellschaft in all ihrer Komplexität erklären zu wollen - die Letzteres behaupten, stehen in einer Traditionslinie, die sich auf die Rassenhygiene zurückleiten lässt.Diese Tatsache ist, unabhängig vom politischen Standpunkt des Betrachters, leider nicht wegzudiskutieren.

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