Es war 1989
Und in Göttingen, wo ich mein erstes Semester studierte, war Conny nach einer Antifa-Aktion von der Polizei in den Tod gejagt worden. Die Frau, die später zur großen autonomen Kämpferin stilisiert wurde, war eigentlich eher ein nettes Partygirl. Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Göttingen sehr viele Leute, die, abgenervt durch ständigen Glatzenterror und eingebunden in ein jugendkulturelles Milieu, das von der autonomen Szene geprägt wurde, mit ziemlicher Selbstverständlichkeit mit dem Knüppel auf die Straße gingen, wenn es darum ging, Nazis entgegenzutreten. Ich konnte mich mit der Conny gut identifizieren - das war ja eine wie ich - und war bei den meisten wichtigen Demos als Fußvolk dabei. Zu der Zeit dominierten die Autonomen auch das Nachtleben der Stadt, bzw. es polarisierte sich zwischen der linken Szene einerseits und dem Tempo-Wiener-Milieu andererseits, wobei Letzteres von FDP-nahen BWLern und Zahnmedizinschnösels angeführt wurde, die Entscheidung, in welche Kneipe und auf welche Party frau ging und welche Musik gehört wurde war eine politische Richtungsentscheidung. Im Göttingen der 90er hatten ja die 70er eigentlich noch gar nicht aufgehört, in einer vorgelagerten Dorfdisko, die Papiermühle hieß, tanzten sie sommers noch barfuß und mit Federn im Haar, und auch ich legte mir diverse Haarfärbemittel und Fußgelenkkettchen aus Messing mit Kunstperlen zu. Links sein, das war gegen Nazis sein, gute Parties feiern und auf umsonst&draußen-Konzerte gehen. Der Weg ins Berufsleben war leicht, denn viele linke Szenegestalten hatten frühzeitig ihre Wege in Werbeagenturen und Zeitschriftenredaktionen gefunden und Seilschaften aufgebaut. Göttingen in den 90ern, das war eine wilde, fröhliche, politisch korrekte "Kampf-Party" mit Durchstart in ein Berufsleben, das mit alldem nichts mehr zu tun hatte, aber auch keine großen Verbiegungen verlangte. Zugegeben, es gab jede Menge moralische Sauerköpfe, aber es war möglich, ihnen aus dem Wege zu gehen. In der New Economy lernte ich dann die chice Fraktion, die auch "Die Szene" hieß, näher kennen und stellte fest, dass die sooo schlimm auch nicht waren. Aber mit 20-27, da war ein solides Feindbild noch nötig, um die Grenzpflöcke einschlagen zu lernen, damit die Selbstbehauptung im großen ernsten Leben da draußen auch klappte.
netbitch - 15. Feb, 19:32
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