Ich hab die Zeit 50 Kilometer weiter in Kassel erlebt. Unsere Papiermühle war das Savoy. Als ich dann in den 90ern zum Studieren nach Süddeutschland ging, hatte ich einen richtigen Kulturschock, denn da waren die Müslifresser-Zeiten schön längst vorbei, und ich war sowas wie ein Alien. Wahrscheinlich trauere ich auch deshalb den guten alten Feindbildern, den Schlabberpullis, den Hängekettchen und der hennageschwängerten Mähne nach.
Der Unterschied ist schon krass und für mich unerschöpfliche Kommentarquelle bei Don. Wir haben ja beide zwei verschiedene "Subkulturen", die linke Szene und die NE-VC-Welt eine WEile von innen angeschaut, aber unsere Wahrnehmungen sind da über weite Strecken nicht deckungsgleich, und das hat was mit Nord-Süd-Unterschieden innerhalb Deutschlands zu tun. Als in den 90ern Müslifressen, Schlabberlook, Henna und Hängekettchen aus der Mode kamen, wurde ja kein konventioneller Chic modisch, sondern es kamen Veganismus, Dreadlocks, Outdoorklamotten bis zum Expeditionslook und Tattoos auf, dann Piercings, Camou und Adidas-Trainingsanzüge. Leute in Versace- oder Armani-Klamotten oder im Miami Vice-Look wären in der linken Szene undenkbar gewesen. Die Gesinnungen waren aber auch anders. Wenn Don davon berichtet, die radikalen Linken in München wären Trotzkisten, Stalinisten oder Maoisten gewesen (in den 90ern!), so waren das in Nord/Mitteldeutschland ganz andere Leute. Ich würde mal sagen, dass die Mehrzahl Anarchisten waren, dann gab es Ökolinke im Stil Dithfurths und Ebermanns und viele Leute, die so eine Mischung aus Kampfsport-Bushido-Ehrenkodex, klassischem linken Antifaschismus, Feminismus, Vegetarismus und romantischer Begeisterung für kurdische oder indigene Guerrillabewegungen vertraten, ohne ein geschlossenes Weltbild zu besitzen. Und die süddeutschen Linken, ob München oder Freiburg, das begann eigentlich schon in Gießen, galten bei uns als etwas seltsam und ideologisch sehr verbiestert.
Klar war die Musik geiler! Blue Oystercult, Metallica, Doors, Scherben, Sterne, Die Braut haut ins Auge.
@che: Ich sah die Wiener-Tempo-Leute ja eher als eine Manifestationsform der Rechten. WEnn es Linke in diesem Umfeld gab, dann wohl nur in Bayern.
Da gibt es ja nicht nur die Nord-Süd-Unterschiede. Schau Dir einen jüngeren Menschen mit mehrfarbigen Haaren, reichlich Piercings, zerrissenen Hosen und DocMartens an, so wird der puren Wahrscheinlichkeit nach in Braunschweig diese Person ein heroinabhängiger Langzeitarbeitsloser, in Göttingen ein Kind aus gutem Hause mit wahnsinnig viel sozialem Engagement und einer ausgefeilten linken Überzeugung und in Kassel entweder Dozent in einer Kulturwissenschaft oder Bandmalocher bei VW sein.
:-)
Und die Musik war einfach geiler!
@che: Ich sah die Wiener-Tempo-Leute ja eher als eine Manifestationsform der Rechten. WEnn es Linke in diesem Umfeld gab, dann wohl nur in Bayern.
:-)