monoma - 10. Sep, 16:07

naja...

...erstens lässt sich derzeit noch absolut nichts über die tatsächlich vorhandenen schäden sagen, die in solchen fällen auch erst mit einiger verzögerung auftreten können - momentan wird die frau ja faktisch zu einer ständigen auseinandersetzung mit einer überflutenden äusseren realität gezwungen.

ein anderer punkt ist aber auch, dass kinder - und das war sie bei der entführung - sich auf solche gewaltsituationen offensichtlich in gewisser hinsicht anders einstellen können als erwachsene - anders, nicht unbedingt besser. was meistens segen und fluch zugleich ist, weil ebenso meistens die schäden wie gesagt mit verzögerung und/oder "maskiert" auftreten.

ps. @che: danke für den obigen beitrag.

netbitch - 10. Sep, 17:27

Ich finde bemerkenswert, was das Reizwort "RAF" ein gutes Dutzend jahre nach dem Ende dieser Organisation noch immer auslöst. Ich hatte ja gar nichts über die RAF selber geschrieben, sondern nur die subjektive Situation von deprivierten Eingekerkerten verglichen, jenseits irgend einer moralischen Wertung.
che2001 - 10. Sep, 19:33

Antimperialismus, Antisemitismus und Adorno

Stefanolix, ich halte durchaus für denkbar, dass kein einziger Angehöriger des Kommandos, das das Flugzeug entführt hat, Juden gehasst hat. Dies setzt ja Antisemitismus voraus, also eine Rassentheorie, in der Juden kollektiv negative Charaktereigenschaften angedichtet werden. Die PFLP/GC- und RZ-Leute waren aber marxistische Antiimperialisten, die für sich deklarierten, sich mit dem Staat Israel im Krieg zu befinden. Sie hatten nichts gegen Juden, weil diese Juden sind. Im gängigen Weltbild der Antiimps wurde Israel als Implantat US-amerikanischer Wirtschaftsinteressen in der arabischen Welt und das Besatzungsregime in den Westbanks, neben der südafrikanischen Apartheid und den letzten Kolonialregimen, die es damals noch gab (z.B. Portugal in Angola und Mozambique, das mit Südafrika und Großbritannien verbandelte Ian Smith - Regime in Rhodesien) als eine aktuelle Form rassistischer Unterdrückung und somit faschistoid angesehen. Die Vorstellung der "antiimperialistischen Front" war, durch die gewaltsame Durchsetzung eines sozialistischen Palästinenserstaates, gleichzeitig den Sturz des Apartheidregimes, die Niederlage Portugals in Afrika, Großbritanniens in Nordirland, Spaniens im Baskenland, der USA in Südostasien und an der Heimatfront gegen die Black-Power-Riots eine Situation herbeizuführen, die das westlich-kapitalistische Weltsystem so schwächt, dass ein Umsturz in Richtung einer blockfrei-sozialistischen Gesellschaft möglich ist. Ein politisch absurdes Konzept, weil es die Rechnung ohne die Massen, ohne die sozialen Bewegungen, ohne die Normalbevölkerung in den Ländern macht. Die zweite Strömung in der radikalen Linken neben den Antiimperialisten, die Sozialrevolutionäre (denen ich angehörte) hat dieses Konzept stets als absurd kritisiert und sich auch gegen die Fixierung auf sozialistische Staaten im Trikont (der "Dritten Welt") oder bestimmte Guerrillagruppen gewandt. Es hat eine Debatte über "linken Antisemitismus" gegeben, an der ich selbst teilgenommen habe. Dabei ging es grob gesagt um Folgendes: Vor 1967 wurde Israel und wurden die Juden von der deutschen Linken idealisiert - die Juden, weil sie Opfer der Nazis waren und Israel nicht zuletzt wegen der Kibbuzim, in denen man ein alternatives Modell für Sozialismus sah. Nach dem Sechs-Tage-Krieg kippte das schlagartig um. In dem Augenblick, in dem Israel als Agrressor und harte Besatzungsmacht auftrat, solidarisierte sich die antiimperialistische Linke reflexartig und selbstverständlich mit den Palästinesern, ohne groß zu diskutieren, inwieweit sich Israel geändert hätte bzw. neu zu bewerten sei. Die Tupamaros Westberlin gingen dabei so weit, ein jüdisches Gemeindezentrum anzugreifen, sie unterschieden also nicht zwischen Israel und den Juden. Der Vorwurf des linken Antisemitismus beinhaltet nun keinen Antisemitismus im Sinne einer Rassen- oder Weltverschwörungstheorie, sondern eher etwas, das sich als Israel-Komplex bezeichnen lässt. Indem der Staat Israel projektiv als besonders imperialistisch überzeichnet wird, der Zionismus zum neuen Faschismus erklärt wird, entsorgen deutsche Linke die selbstkritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Strukturen in der deutschen Gesellschaft und im eigenen Denken (die nach Adorno durchaus ohne Juden auskommen können, da die Elemente des Antisemitismus komplexe Vorurteilsstrukturen beinhalten, bei denen "der Jude" austauschbar ist, Antisemitismus also eine gesellschaftliche Matrix für Vorurteilsbereitschaft und autoritäres Verhalten beinhaltet, von dem auch die Strukturen linker Gruppen nicht ausgenommen sind). Zum anderen offenbart die Tatsache, dass Israel im Krieg und als Besatzungsmacht als ausschließlich böse betrachtet wurde, die Juden in der Opfer- oder auch Widerstandsrolle hingegen als positive Identifikationsfigur, dass man offensichtlich Juden/Israelis nicht das gleiche Maß an Aggression zubilligen wollte wie Anderen - denn zur gleichen Zeit hielten ja die IRA unterstützende Antiimps nicht Großbritannien als Land für böse. Juden bzw. Israel erschienen hier also als Objekt einer Projektion, nicht als Glaubensgemeinschaft oder Staat, mit denen man sich rational und frei von Komplexen auseinandersetzte. Aus dieser hochabstrakten und die Kenntnis Freuds voraussetzenden Konzeption wurde in der Öffentlichkeit igendwann das platte Klischee, die antiimperialistische Linke in ihrer Gesamtheit sei antisemitisch, bis hin zur projektiven Überhöhung und Glorifizierung Israels bei den Antideutschen, die aus meiner Sicht den sogenannten linken Antisemitismus in einer sehr platten Form übernehmen und um 180 Grad umdrehen, ähnlich wie Satanisten das mit dem Katholizismus machen.
netbitch - 10. Sep, 22:49

Stefanolix, ich verlange vom Staat gegenüber den RAF-Gefangenen erstmal explizit gar nichts. Die ganzen Hungerstreik-Soli-Aktionen waren vor meiner Zeit. Meine Beschäftigung mit der psychischen Situation von Isolationshäftlingen spielte sich primär im Rahmen meines Psychologiestudiums ab, im Vergleich von RAF-Gefangenen, H-Block-Häftlingen in Nordirland und Incommunicado-Gefangenen der Tupamaros in Uruguay.
Che, vielleicht legst Du mal dar, wer nun die judäische Volksfront usw. im Einzelnen waren oder sind, das weiß heute nämlich kaum noch jemand.
workingclasshero - 10. Sep, 23:36

Das ist ja eine hochinteressante Debatte: Aus einem völlig anderen Thema, nämlich der psychischen Situation eines Entführungsopfers, entwickelt sich Off-Topic eine Diskussion über Antiimperialismus und seine Irrungen-Wirrungen, die ich so auf den Punkt gebracht noch nirgendwo gelesen habe. Respekt!
netbitch - 11. Sep, 11:03

Zu dem beim Antibürokratieteam verlinkten Artikel ist im Übrigen zu sagen, dass dieser ziemlich reduktionistisch ist. Es stimmt sicher, dass die RAF eine sehr medienwirksame Inszenierung ihrer Haftbedingungen betrieb. Und es mag sein, dass Bubecks Beschreibung der Haftbedingungen zutreffend ist. Das sagt aber nichts darüber aus, was vorher geschehen war (in dem Text ist von Isolationshaft bei ständig angeschaltetem Licht im Falle Ulrike Meinhofs die Rede, zur gleichen Zeit wurde Ilse Schwipper in Isolationshaft gehalten) oder was hinterher geschehen sollte. Aber wie gesagt: Ursprünglich war die Tatsache, dass Natascha Kampuschs seelische Verfassung angesichts des erlittenen Grauens erstaunlich ist, mein Thema.
che2001 - 11. Sep, 13:53

Die judäische Volksfront

Ursprünglich hatte sich die palästinensische Linke bevorzugt im MAN, dem Movement of Arabian Nationalists, organisiert, einer in Ägypten domizilierten politischen Bewegung, die einen idealisierten Panarabismus vertrat.Zentrale Vorstellung war, dass eine Vereinigung der ganzen arabischen Welt von Marokko bis Irak in einem einzigen sozialistischen Staat alle sozialen Probleme der arabischen Welt lösen würde. Nach dem Sechstagekrieg wurden für die Palästinenser schlagartig diesseitigere, nämlich konkret Palästina-bezogene Themen wichtig, und der palästinensische Teil des MAN zerfiel zu verschiedenen Parteien, nämlich der Palästinensischen Befreiungsfront (PLF), der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) und der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas (DFLP). Während dies politische Parteien waren, die bewaffnete Milizen unterhielten, gab/gibt es noch einige Splittergruppen, die reine Guerrillatrupps waren, wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas/Generalkommando (PFLP/GC) und die Fatah/Revolutionärer Rat (Abu Nidal-Organisation), von denen Letztere sich zu einem Auftragskiller-Unternehmen entwickelte. Die PFLP war kommunistisch im sowjetischen Sinne, die DFLP hatte eine maoistische Phase und orientierte sich ansonsten an Kuba und Algerien. Während die PFLP das organisierte Flugzeugentführen mehr oder weniger erfand, wurde die DFLP kaum durch große spektakuläre Anschläge bekannt. Der Dialog zwischen Israel und den PalästinenserInnen kam weitgehend durch die DFLP zustande, die ein Existenzrecht Israels immer anerkannt hatte, heute gehört sie jedoch zu den Gegnerinnen des Oslo-Prozesses. Dies hängt mit ihrer Mitgliederbasis zusammen, die fast ausschließlich aus in Europa lebenden Exilanten besteht, da das Friedensabkommen kein Rückkehrrecht nach Palästina vorsieht. PFLP und PFLP/GC arbeiteten in den 70ern und 80ern mit RAF, 2.Juni, RZ und Action Directe zusammen. Die islamistischen Gruppen wie Hamas wurden ursprünglich u.a. vom saudischen Geheimdienst aufgebaut, um diesen Gruppen die Anhängerbasis abzugraben - mit nachhaltigem Erfolg.
che2001 - 11. Sep, 14:11

@stefanolix: Dass die Ermordung Schleyers gerechtfertigt gewesen wäre habe ich nicht behauptet. Ich halte die ganze RAF für einen gewaltigen Fehler und wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich für diesen Mann als Person aufgrund seiner Vorgeschichte weitaus weniger Mitleid aufbringe als für Andere.
workingclasshero - 11. Sep, 15:49

@monoma, netbitch: Bei Kindern ist es oftmals erstaunlich, mit welcher Vitalität diese grauenhaften Situationen begegnen. Trotzdem ist mir diese Kampusch-Geschichte ganz schwer nachvollziehbar. Ist sie in den 8 Jahren nie krank gewesen? Musste sie nicht zum Zahnarzt? Hatte ihr Peiniger Helfer? Wie hat sie sich in der Einkerkerung weitergebildet, dass sie so reden kann, wie sie es tat? Entweder es gibt da sehr viele Ungereimtheiten, oder es muss eine äußerst faszinierende Geschichte sein (bei allem Grauen).
netbitch - 11. Sep, 16:12

@workingclasshero: Willst Du damit sagen, das war ein Medienfake?
workingclasshero - 11. Sep, 16:33

Nicht unbedingt. Aber entweder muss der Entführer ein ganzes Netzwerk organisiert haben, um sein Opfer zu versorgen, oder sie muss irgendeinen Kanal gehabt haben, um die Außenwelt wahrzunehmen, auch Möglichkeiten, sich zu bewegen. Ich will einfach nur sagen: da ist vieles unklar und auf den ersten Blick nicht plausibel.
monoma - 11. Sep, 16:48

@workingclasshero:

es gibt etliche beispiele für extremsituationen, in denen das verhalten der protagonistInnen für außenstehende ebenfalls auf den ersten blick nicht plausibel ist.

ich finde gerade diese geschichte nicht so erstaunlich vor dem hintergrund, dass sie bereits als kind entführt wurde - der täter muss, zumindest intuitiv, einiges von manipulation verstanden haben. die suiziddrohungen ihr gegenüber bspw. sind eine art von emotionaler erpressung gewesen, bei denen ich selbst erwachsene menschen kenne, die mit der gleichen drohung bzw. manipulativen absicht konfrontiert wurden - und sich daraufhin in einer position absoluter hilflosigkeit fanden, in der sie den fremden willen völlig erfüllten. das ist von außen nur solange unverständlich, wie man(n) sich nicht die intensität bspw. von schuldgefühlen klarmacht.

natascha hat irgendwo von einer art fluchtversuch berichtet, als der entführer einmal nicht anwesend war - nach eigener aussage kam sie bis vor die haustür, wurde dann von panik und schwindel befallen. auch das ist nicht unverständlich, sondern als folge sozialer deprivation imo durchaus nachvollziehbar.
netbitch - 11. Sep, 17:01

Ich weiß; das zu lesen war wirklich heftig und erinnerte mich an Alpträume, die ich als kleines Kind hatte. Dieses elementare Erlebnis der Hilflosigkeit ist mir sehr gut nachvollziehbar.
che2001 - 11. Sep, 19:59

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Kommentar von Ralph!

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