steppenhund - 28. Jun, 08:32

ja, wass soll ich denn mit linksintellektuell anfangen

Wie war das noch mit Tucholsky? Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer mit 30 noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.
-
Auch wenn ich den Kapitalismus als genauso gescheitert (noch nicht final) wie den Kommunismus ansehe, fehlt mir die Alternative. Links allein tut es nicht. Sozialismus per se tendiert entweder in die eine oder in die andere Richtung. Der Klassenkampf hat sich in einer gewissen Weise überholt. Er müsste heute von Hartz-IV-Empfängern getragen werden.
Statt dessen werden heute Demonstrationsaufwände in Stuttgart gegen das Bahnhofsprojekt verschleudert, das es eigentlich nicht verdient hat. Denn wofür da die Leute auf die Straße gehen, sind nicht Umwelt oder Einsparung sondern die Interessen der großen Automobilindustrie. Dass Grüne dabei demonstrieren, ist sowieso ein Witz. Die sollten froh sein, wenn die Bahn-Infrastruktur gestärkt wird.
Aber was soll ich zu politischen Aussagen kommentieren, die sich in erster Linie auf Deutschland beziehen? Ich bin Österreicher und geniere mich für unsere Politiker. Doch es geht uns noch (?) sehr gut. In Deutschland kenne ich seit Schmidt kaum mehr einen Politiker vor dem ich den Hut ziehen würde.
Aber die Pauli hat mir gefallen, die hätte ich doch gerne einmal "durchgezogen":)
Und BDSM ist halt nicht meines. Ich verstehe zwar, dass er eine reizvolle Komponente darstellen könnte, aber nicht für mich. Ausgeliefert sein ist für mich eher abturnend. Und meinen Sadismus versuche ich, so gut es geht, abzulegen.
Zum Experimentieren bin ich mittlerweile zu träge geworden. Und außerdem war ich da sowieso immer die treibende Kraft.
Wenn ich aber wie gerade jetzt erlebe, dass ich keinen Begleiter oder Begleiterin (ohne Sex oder mit Sex im Falle einer Sie) finde, die sich mit 2 Tagen Vorlauf auf eine Reise nach Prag und Besuch des Theaterstücks "Alma" bereitfinden kann, dann frage ich mich sowieso, wo die Abenteuerlust geblieben ist. Die einzige Freundin, mit der ich 14 Jahre lang in einer Ehe zu dritt gelebt habe, entschuldige ich explizit. Die kann ihre derzeitigen Prüfungen nicht ignorieren. Die war auch immer in 15 Minuten ausgehfertig, wenn irgendetwas Überraschendes angestanden ist.
Experimentieren hat für mich etwas mit Freiheit zu tun. Egal ob sexuell oder anderweitig.
Links hat für mich nichts mit Freiheit zu tun, weil linke Ideologien bis jetzt nur zu ähnlich restriktiven Systemen geführt haben wie rechte.
Ich kann verstehen, wenn man sich für einen Rechner um €5000 begeistert. Ich kann verstehen, wenn man sich von mehreren Männern hernehmen lässt. Ich kann verstehen, wenn Frauen lieber unter sich bleiben. Gewalt kann ich nicht einmal im spielerischen Sinn verstehen.
Außer bei einer Schachpartie. Kasparov oder Karpov hat einmal gesagt, dass man bei einer Schachpartie nur dann gewinnen kann, wenn man den Gegner umbringen will. Dem stimme ich zu. Da kann ich auch meine gewalttätigen Gelüste ausleben. Und wenn ich dabei verliere, freut es mich keinesfalls. Also mit dem M-Teil kann ich wirklich nichts anfangen.
Und wenn ich den Sadismus etwas gepflegter haben will, spiele ich allenfalls eine Partie Go mit jemanden, der schlechter spielt. Den kann ich dann fertig machen, ohne dass er versteht, warum er verlieren muss.
Und zum netten Abschluss. Ich strebe nicht nach Macht. Das lässt sich jetzt anhand meiner gerade stattgefundenen Geburtstagsfeier anhören, bei der ich kund tat, dass vier meiner Chefs oder Ex-Chefs anwesend waren. Darauf ist einer aufgestanden und hat gemeint, dass es sehr angenehm ist, "unterm Hans der Boss zu sein".
Vergewaltigung an sich lehne ich ab. Aber vielleicht nicht in der Weise, dass ich da gerne skandalträchtige Prozesse sehen möchte. Nein, jemanden, von dessen Schuld ich überzeugt bin, weil er sich sogar damit brüstet, sollte man kurzfristigst abmurksen.
Und wenn mich jemand tätlich bedroht, was bis jetzt erfreulicherweise nie vorgekommen ist, hätte ich keine Hemmungen, ihn nicht nur unschädlich zu machen sondern ihn kalt zu stellen. Es gibt kein "Ich hab das ja nicht so gemeint.", wenn es um Gewalt geht.

aynur (Gast) - 28. Jun, 09:52

Wart es mal ab, lieber Steppenhund! Ich distanziere mich schon mal vorsichtshalber von linker oder rechter Gewalt, die von http://axtimwalde.wordpress.com/ ausgeht. Eine revolutionäre Situation braucht halt eine Weile, bis sie wirksam wird.

Um nochmal auf das Eingangsposting zurückzukommen: Welchen Zusammenhang gibt es denn zwischen BDSM, Feminismus und linker Intellektualität? BDSM ist Privatsache, und kommt quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Gefolgen unterschiedlicher politischer Weltanschauunngen vor. Die Tea Party kommt ziemlich feministisch daher. Sarah Palin bezeichnet sich ja selbst als Feministin. Uschi von der Leyen würde ich auch nicht links nennen und die Tea Party auch nicht intellektuell. Welchen Zusammenhang gibt es denn nun?
netbitch - 28. Jun, 14:46

Lieber Steppenhund, danke für diesen schönen und stimmungsvollen Beitrag! Mit links freilich meine ich und meinen Leute wie Workingclasshero, Che und Momo dann doch noch einmal etwas Anderes als klassischen Sozialismus oder Kommunismus - mehr eine Lebenshaltung, die etwas mit Partei ergreifen für die Schwachen, Autoritäten hinterfragen, Hierarchien nicht akzeptieren usw. zu tun hat, als das Linkssein programmatischer Parteien.


@Aynur: Die Tea Party feministisch? Bisher habe ich die als einen Haufen von leibfeindlichen Evangelikalen erlebt. Und Feminismus als eine politisch-soziale Bewegung in den Traditionen Simone de Beauvoirs, Kate Millets und Judith Butlers. Wie Palin da andocken soll ist mir so gar nicht ersichtlich.
netbitch - 28. Jun, 22:46

@Welchen Zusammenhang gibt es denn zwischen BDSM, Feminismus und linker Intellektualität? BDSM ist Privatsache, und kommt quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Gefolgen unterschiedlicher politischer Weltanschauunngen vor. ->

Doch, den gibt es, ich hatte die Bekanntheit dessen so sehr vorausgesetzt, dass ich tatsächlich in Erklärungsnot bin. Da, wo Feministinnen nicht nur als rein politische Bewegung, sondern als Subkultur, als Frauen-Lesben-Szene ("lifestyle" bei Georgi) auftreten sind sehr normierte Vorstellungen von Sexualität weit verbreitet. Die Auffassung, weibliche Sexualität sei weitgehend unaggressiv, sexuelle Aggressivität bis hin zu BDSM hingegen tendenziell bei heterosexuellen Männern eher vertreten und in dem, was in dieser Gesellschaft als "Männlichkeit" eingeübt und gelebt wird auch strukturell angelegt kann als feministischer Mainstream angesehen werden. Für Alice Schwarzer gibt es gar keinen weiblichen Sadomasochismus und wenn doch, dann nur als Masochismus unselbstbewusster Frauen, die sich rollenkonform dem Mann unterordnen. BDSM wird als Rückzugsbasis tumben Männlichkeitswahns angesehen, nicht als eine von vielen möglichen lustbringenden Praktiken. Was analytisch zur Beschreibung von Verhältnissen im Rotlicht- und Pornomilieu oder auch des Trieblebens einer bestimmten Art herkömmlicher Manager durchaus etwas taugt, wird grundfalsch, wenn es erwachsenen Menschen im Allgemeinen übergestülpt wird.

Ein bestimmter Teil der Lesbenszene im engeren Sinne, der sich teilweise als feministisch versteht und teilweise auch nicht ist da ganz anders gepolt. Es herrschte zumindest in den Zeiten, da ich da noch Zugang hatte ein wilder sexueller Hedonismus, und BDSM war da partiell "guter Ton".


Unter heterosexuellen Linksradikalen herrscht meistens, das war nicht immer so, ein rigider Moralismus, der wilde triebhafte Exzessivität, unsymmetrische, Unterwerfung beinhaltende Rollenspiele und latürnich BDSM "böse" findet und auf bloße Reproduktion gesellschaftlicher Machtstrukturen reduziert.

Und da komme dann ich ins Spiel. Ich komme aus der Bewegung der Riot Girls (oder Riot GRRRRls), das waren/sind heterosexuelle, ihre Heterosexualität positiv sehende und lustbetonte (in feministischer Begrifflichkeit "sexpositive") Frauen, die in einer Mischung aus Girlie-Look und Punk-Outfit umherliefen und feministische Positionen vertraten und dafür von den Altfeministinnen schief angesehen wurden/werden bzw. auch politisch als so eine Art Spaltpilz kritisiert.


Und als BDSM in wechselnden Rollen praktizierende, heterosexuelle sexpositive linke Frau und Feministin mit Führungsjob, Sportwagen und Motorrad bin ich tatsächlich zwischen sämtlichen Stühlen, im richtigen Leben wie in der Blogosphäre.
momorulez (Gast) - 29. Jun, 12:22

Was ich ja ergänzen wollen würde als zum Teil Außenstehender, zum Teil referierend, was mir so erzählt wurde:

- Für mich haben viele Feministinnen in den späten 80er, frühen 90ern versucht, überhaupt diese merkwürdige "Sexualpartnerschaft" zugunsten umfassender Liebes- und Beziehungsverständnisse zu erweitern, was konzeptionell wie praktisch auch die hetero/nicht-hetero-Dichotomie auflöste. Man konnte Liebesbeziehungen zu Frauen pflegen, die körperlich, aber nicht primär genital orientiert sein mussten, aber konnten, und trotzdem auch Sex mit Männern haben. In der schwulen Szene wurde viel dumpfer, aber immerhin, eher theoretisch auf Foucault fußend das Konzept "Freundschaft" mal wieder durchzudeklinieren, das "Sex" wie auch immer gar nicht ausschließen müsste. Das ist was anderes als dieses gütervereinigende Vertragskonstrukt "Ehe", das auch in außerehelichen Beziehungen imitiert werden kann. Hintergrund ist immer auch die Annahme, dass die klassische Kleinfamilie auch als ein zentrales Reproduktionsscharnier des Kapitalismus verstanden werden kann.

- Die Rrrriot Girls waren nicht exklusiv Heteras. Auch hier gab es meines Wissens eher die Stoßrichtung, mit der identitär aufgeladenen "hetero/lesbisch"-Dichotomie aufzuräumen.

- BDSM-Praktiken sind aus zwei Gründen tatsächlich emanzipatorisch aufgeladen - zum einen aus dem Paradox heraus, dass, wer "ich bin Sklave" sagt und das selbst wählt (und wählen kann), eben keiner mehr ist. Dadurch, dass sich einfach tradierte Machtkonstellationen in den Geschlechterbeziehungen eben nicht ungebrochen fortschreiben, sondern in einem freien, wechselseitig einvernehmlichen Rahmen erst entstehen, werden sich zugänglich und auch verarbeitbar (deshalb doch das Klischee des amangers, der zur Domina geht, um mal macht abgeben zu können). Das ist bei "gleichgeschlechtlichen" Beziehungen eh ein Vorteil (und zugleich anstrengender, weil z.B. das anerzogene Konkurrenzgebahren ja nicht verschwindet), dass, wenn nicht eine ökonomische Abhängigkeit der Fall ist, sie a priori symetrischer gebaut sind, Dominanzen sich aus der Individuenrelation ergeben, nicht der Geschelchterordnung. Des weiteren agiert BDSM in einem umfassenderen Feld der Sinnlichkeit als die genitale Penetration. Was auch noch mal so einiges durcheinander wirft in einem durchaus emphatisch-freiheitlichen Sinne. Wenn man sich rundum hat peitschen lassen, ist das eine ganzheitliche Körpererfahrung beim Fick, als wenn man das nicht macht. Mal subsummierend und hoffentlich nicht missverstehend, was Netbitch als Erfahrung hier häufiger gepostet hat.
netbitch - 29. Jun, 14:01

Danke für diese sehr schöne Ergänzung.


@Die Rrrriot Girls waren nicht exklusiv Heteras. Auch hier gab es meines Wissens eher die Stoßrichtung, mit der identitär aufgeladenen "hetero/lesbisch"-Dichotomie aufzuräumen. --> Das schtümmt vor allem bezüglich England und Angloamerikanien, wo die ihren Ursprung hatten. Was meineeine erlebt und mitgemacht hat war aber eher so eine Art linker Flügel der Girlies, und wir waren schon weit überwiegend ein Hetera-Haufen, allerdings weit weg von Rollenklischees, bzw. diese ganz gern persiflierend.
che2001 - 29. Jun, 19:45

@"Unter heterosexuellen Linksradikalen herrscht meistens, das war nicht immer so, ein rigider Moralismus, der wilde triebhafte Exzessivität, unsymmetrische, Unterwerfung beinhaltende Rollenspiele und latürnich BDSM "böse" findet und auf bloße Reproduktion gesellschaftlicher Machtstrukturen reduziert. " ---- Das hast Du Küken nicht mehr erlebt, aber das war in der Tat mal ganz anders. Ich kannte noch eine linke Szene, in der vor allem Zweierbeziehungen mit Besitzansprüchen verpönt waren und die offene Beziehung mit erlaubten Seitensprüngen positives Ideal war. Eifersucht haben wurde als eher unreifes, bürgerliches Besitzverhalten angesehen. So etwas wie Sex mit den WG-Mitbewohnerinnen bei gleichzeitig beiderseitigen "externen Beziehungen" galt als OK und war weit verbreitet. Insbesondere Frauen hatten oft abwechselnd Beziehungen mit Männern und Frauen, ohne sich nun explizit als bi, Heten oder Lesben zu definieren. Mit dem Generationswechsel in der Szene ab der zweiten Hälfte der Achtziger und den gleichzeitigen erbittert geführten Vergewaltigungs- und Pornodebatten kippte das dann alles und machte einerseits dem Normmodell geschlossene heterosexueller Zweierbeziehung (allerdings sehr oft mit schnellem PartnerInnenwechsel, "serielle Monogamie") und einem repressiv- moralinsaurem Klima in der oben von Dir beschriebenen Art Platz.
netbitch - 2. Jul, 00:36

@Momo, "Stoßrichtung" finde ich sexuell gesehen in diesem Zusammenhang Klasse.

@ Che, ich bin da in der Tat zu sehr Küken: Das kenne ich nur noch aus der Literatur und Deinen Erzählungen. Erzähl aber mal weiter, es lohnt sich!
steppenhund - 3. Jul, 00:08

@nbo @che

Ich kenne zwar die Szene der Linksradikalen nicht, doch waren auch bei uns als Post-Achtundsechziger (gilt zumindest für mich, meine Frau konnte man noch als Achtundsechziger bezeichnen, da sie fünf Jahre älter ist) Besitzdenken verpönt und Mehrfachbeziehungen in sexueller Hinsicht als normal angesehen. Das ging soweit, dass meine Ehe mit Freundin 14 Jahre lang ganz normal und offiziell lief. Die einzigen, die nicht davon Bescheid wussten, waren meine Eltern, doch selbst sie schätzen meine Freundin sehr, die auch bei engen Familienfesten dabei war. Meine Frau hatte ebenfalls Beziehungen, allerdings weitaus weniger.
Unsere sexuelle Aufklärung bezogen wir von Wilhelm Reich und das war ganz gut so. Einige seiner Anleitungen kann man hervorragend für wirklich erfüllende Orgasmen verwenden. Was aber vor allem heraus gelesen wurde, war die Verwendung der Unterdrückung von Sex in faschistischen Gesellschaften. (Nicht nur in faschistischen, eher in allen istischen.)
BSDM sehe ich da nicht unbedingt dazu gehörig an. Was aber Führungsposition, Sportwagen und Maschine angeht, ist der Zusammenhang zu BSDM-Praktiken sicher statistisch signifikant. Aber die Zeit spielt auch eine große Rolle. Es gab Jahre, da haben mir Swinger-Clubs etwas gegeben, als Zeichen einer sexuellen Befreiung und Loslösung eines aufgesetzten Wertesystems. Heute reizen sie mich nicht mehr. Höchstens einer, der irgendwo zwischen Berlin und Dresden sein muss, in einem Art Schloss und durch die Preisgestaltung eher elitär.
Da ich aber heutzutage mehr Frauen haben als schaffen könnte, sehe ich das recht gelassen. Ich genieße es, sechzig zu sein:)
P.S. Was früher in den Schwanz ging, geht jetzt in die Musik -und das ist gar nicht so schlecht:)
che2001 - 3. Jul, 15:09

Steppenhund, die Ausgangspunkte Deiner Alterskohorte kenne ich so ungefähr auch noch, die linksradikale Szene war sozusagen die unmittelbare Fortsetzung. Dies allerdings nur chronologisch, inhaltlich gab es da Brüche. Dass feministische Kritik irgendwann anmfing, moralinsauer zu werden ist sicher ein Stück weit auf das Treiben von Schwarzer und solche zurückzuführen und auch auf die Ignoranz eines teils der linken Männer, zum Größten Teil aber auch dadurch, dass sie durch die falschen Leute okkupiert wurde. Und harte Zeiten, in denen Utopien wenig Basis haben sind nicht unbedingt zeiten, in denen lustvolle, auf Sichselbstausprobieren angelegte Lebensweisen Hochkonjunktur haben.
steppenhund - 3. Jul, 23:30

@che

danke für die Erklärung. Das kann ich recht gut nachvollziehen.
Eines darf ich behaupten: moralinsauer war ich selbst nie:)

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