genova68 - 14. Mär, 16:28

Ja, ich werfe dir, Che, nun ja auch wirklich nichts vor, was ich dem Ostblock vorwerfen würde. Ich frage mal so:

Findest du, dass die Linkspartei die von mir aufgeworfenen Fragen ("von Marx zu Stalin") intensiver diskutieren müsste?

Damit du bei diesem Thema jetzt mal deine Person außen vor lässt (die ich interessant finde, aber die mich jetzt mal nicht interessieren soll).

Ich will die vielen linken Gruppen nicht reduzieren, sondern ich sehe die seinerzeit reale Situation, dass schätzungsweise eine Milliarde Menschen oder mehr in dieser Ostblocklogik, inklusive China, "gefangen" waren. Da fallen die Anarchos etc. nicht sonderlich ins Gewicht. Und das bedeutet nicht, sie zu diskreditieren.

che2001 - 14. Mär, 17:10

Ich finde, dass die Fragen von Dir so falsch gestellt wurden, weil es keine Entwicklung gibt, die sich "von Marx zu Stalin" beschlagworten ließe. Ich finde sehr, dass sich die Cuba si-Kampagne und die Teile der Partei Die Linke, die damit zu tun haben oder sympathisieren sich schon sehr fragen lassen müssen, was für ein Regime sie da stützen, wobei ich andererseits auch keinerlei Solidarität mit schweinebuchtgeilen oder mafiösen Exil-Kubanerkreisen gutheißen kann. Soll heißen: klar für Menschenrechte in Cuba, nein zu Militäraufmärschen gegen die Inselrepublik. Klar muss sich die Partei auch unangenehme Fragen zur Stasi- und NVA-Vergangenheit ihrer älteren Mitglieder stellen lassen. Aber das müssen auch andere Leute. Ich kenne zum Beispiel einen geldgierigen Immobilienmakler, der sich richtig freut, dass HartzIV ihm viele billige Bürokräfte und Handlanger am Bau zugespült hat, der die Akademie für Staat und Recht absolviert hat (das war die Hochschule der Stasi). Und weiß von ganzen Netzwerken alter NVA-Offiziere im Westen. Das ist ja der Treppenwitz, den ich mit dem Feindbild Linkspartei bei gewissen Liberalen habe: Die merken gar nicht, dass die Leute mit wirklich übler DDR-Vergangenheit sich manchmal eher bei den eigenen Geschäftspartnern finden lassen als in dieser Partei.



Und dieser unsägliche Leninismus gehört in der Tat aufgearbeitet, wo noch Leute ihr Denken von beeinflussen lassen. Am Besten mit Marx selbst, mit Luxemburg, Korsch, Gramszi und Poulantzas. Und Demirovic, die neomarxistischen Theoretiker aus Exjugoslawien werden ja viel zu selten zur Kenntnis genommen.
netbitch - 14. Mär, 22:48

Kommentar von Momorulez:


Genova hat ja nun eine Diskussion für sich entdeckt, die man normalerweise mit Liberalen führt, also solchen, die die Leitideologie formulieren, die dafür sorgt, dass in afrikanischen Minen Menschen sterben und in China unter Bedingungen produziert und geherrscht wird, dass man sich nur wundern kann, dass genau die gleichen Leute einen Menschenrechtsdiskurs führen. Manchmal, wenn es nicht gerade um Hartz IV geht.

Damit ist man auch mitten im Thema, Genova merkt das aber gar nicht. Warum? Weil, wenn man ihm was über Ideologiekritik erzählt, in elitäre Zirkel verwiesen wird.

Er glaubt vielmehr, eine Frage entdeckt zu haben, die niemand zuvor je stellte:

“Sondern mein Ausgangspunkt war, wie DIE linke Idee so umstandslos zu einem der größten historischen Desaster führen konnte, und zwar fast 100 Jahre lang, in linkem Namen, in unzähligen Ländern der Welt.”

Man kann sich nun den Mund fusselig reden und die Tastatur fransig schreiben, auf diverse Antworten diesbezüglich verweisen, die seit mehr als einem Jahrhundert formuliert werden, ihn über Kronstadt aufklären und massenhaft auf großer Bühne geführte Debatten z.B. in Frankreich zitieren – das nimmt der gar nicht zur Kenntnis, wie auch eigentlich nix, was man schreibt. Das ist alles elitär.

Was für eine Antwort erwartet man aber auf so einen Einwurf:

“Ihr seid alle viel zu wenig selbstkritisch, eitle Linke, die ihr Projekt vor sich hertragen. Versiert in der Kritik des politischen Gegners, aber zu Eigenkritik in politischer Sache nicht fähig. Das bedeutet natürlich nicht, dass man nicht den linken Nachbarn zum Todfeind erklären kann (Beispiel R. Kurz), aber eine generelle selbstreflexive Kritik kommt euch nicht in die Tüte. Aber immer schön Adorno hochhalten. Eigentlich unfassbar.”

Ich meine, was soll man denn da sagen? “Ja, Du hast so recht? Ich bin eitel und geblendet, unfähig zur Selbstkritik, und lese auch nie wieder Adorn0?” Dessen Thema war ja nun gerade, dass man unter Bedingungen des totalen Verblendungszusammenhangs keine linke Programmatik formulieren kann, weil die ins Unheil führen würde, unter Bedingungen der instrumentellen Vernunft umgesetzt, wie man ja bei Stalin gesehen habe.

Oder: “Auch ich trage den Stalinismus in mir und bekämpfe ihn wie das Böse, das von meiner Seele Besitz ergreifen könnte?” Das ist das Motiv der Erbsünde. Ich habe meinerseits nun nicht im Gulag gepeitscht und niemanden dort erschossen. Was denn nun für eine Selbstkritik? “Ich werde nie wieder Marx zitieren?” “Ich bin gegen die Linkspartei”? Ich habe zu der eine eher differenzierte Position, aber das darf ich ja nicht schreiben, weil ich damit das Unheil, das linke Ideen über die Welt brachten, negiere.

Ich stimme dem auch ausdrücklich nicht zu:

“Das historische Projekt der marxistisch-leninistischen Arbeiterbewegung in der UdSSR, ja, aber das war ja so extrem einflussreich weltweit, das war zum größtenteil die Linke, faktisch, ob Euch das passt oder nicht.”

Weil das historisch nicht stimmt, dass NUR das und GRÖßTENTEILS das nun die historisch-reale Linke ausmacht. Alleine die antikolonialen Bestrebungen in Afrika sind wirklich ein Thema für ein ganzes Studium. Verweist man auf die Besserung der Lebensbedingungen der Landbevölkerung auf Kuba, darf man das nicht sagen, weil man ja damit die grausame Verletzung der Menschenrechte dort irgnorieren würde. Es ist ein wenig gewagt, sich wie Genova dann auf Empirie zu berufen – man kann ja auch das eine gut, das andere Scheiße finden.

Man kann freilich auch wie die Liberalen jeden Versuch, die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern, unter Totalitarismus-Verdacht stellen. Klar kann man das, vielleicht stimmt das sogar. Man kann aber nicht Empirie fordern, um dann mit begrifflichen Normativismus zu kontern, wenn jemand empirisch und differenziert antwortet.

Die spezifische Lage in Maos China noch mal ein weiteres Thema, und wenig war grausamer als die dortige Kulturrevoltion, die sich über Elitäres ereiferte. Bitte darauf einlassen und nicht gleich irgendwelche Bekenntnisse fordern, dann kriegt man nämlich nix mit.

Das ist eine der “großen Erzählungen” (Lyotard), die Genova verbreitet, die mit Empirie nun rein gar nix zu tun hat, weil sie den Stalismus ignoriert durch die Problemstellung.

Und wenn man ernst nimmt, was Genova noch schreibt:

“Ihr dann steht Ihr alleine da mit Euren Splittergruppen. Es geht hier jedoch nicht um ein avantgardistisches Hobby, sondern um die Masse, um deren Emanzipation, Solidarität, Freiheit etc.”

dann verstehe ich ja sein Entsetzen darüber, dass diese Ideale von Ulbricht instrumentalisiert wurden. Es ist ja auch so, dass es eine Tradition gibt, die glaubt, man müsse erst im Rahmen einer Diktatur die ökonomischen Verhältnisse ändern, dann würde ein bessseres Bewusstsein bei den Leuten automatisch entstehen. Das meinte ich doch mit der “Temporalisierung mittels Geschichtsphilosophie”, auf die ich ständig sektierisch verwiesen habe. Guckt man wenigstens mal ins “Kommunistische Manifest”, dann kann man auch gut nachvollziehen, wie das passieren konnte. Aber solche Hinweise sind ja elitär, auch wenn das “Kommunistische Manifest” höhere Auflagen als die Bibel hatte, und das “Kommunistische Manifest” ist eben nicht “Das Kapital”, welches für DDR-Veröffentlichungen redigiert wurde.

Solche Binnendifferenzierungen sind allerdings reines Sektierertum und Symptom der mangelnden Selbstkritik.

Abgesehen davon, dass ich wenig Probleme habe, alleine da zu stehen, wird das ja schnell selbstwidersprüchlich, was Genova schreibt – wenn man “Emanzipation, Solidarität, Freiheit usw.” als linke Ideale, Zielvorstellungen etc. begreift, dann war der Stalinismus in seinen Spielarten nicht links, weil er sich an diesen Idealen empirisch nicht orientiert hat und auch nicht zu deren Verwirklichung beigetragen hat.

Oder man lässt die begriffliche Ebene ganz bleiben, dann ist Freiheit, Emanzipation und Solidarität eben nicht links, weil nur Stalin und Castro das waren, und dann vertrete ich von mir aus auch eine glaue FES-Position.

Oder man macht es so wie manche Formen der liberalen Kritik, verzichtet auf alle Ideale, die umzusetzen seien, Hauptsache, der Markt ist entfesselt, schon gar auf Freiheit (die meinen damit ja was anderes als ich, sollten die dann aber auch umbenennen, wenn ich schon glaue FES-Positionen vertrete, oder wie lösen wir das Problem jetzt?), weil die eh nur in den Totalitarismus führe, immer, und lässt weiter Menschen in Koltan-Minen verrecken, damit wir mit dem Handy telefonieren können.

Das schlimme ist ja, dass, wenn ich Genova nun wieder auf eine mehr als ein Jahrhundert währende Diskussion verweise, eigentlich noch länger, in der es genau darum geht, wie man denn Ideale, also Begriffliches, empirisch-real werden lässt oder wieso man das bleiben lassen sollte, wird ja wieder mit dem Elitären gekontert, dabei könnte ich da ein Buch drüber schreiben und habe einige genannt.

Und wieder fragt man sich: Was will der eigentlich?
netbitch - 15. Mär, 23:36

Wenn Anarchos "nichts zählen", dann bedanke ich mich, die bürgerliche und die marxistisch-leninistische Geschichtsschreibung haben die ja auch aus der historischen Erinnerung getilgt, und wir, d.h. die um ihre Emanzipation kämpfenden Frauen (Fußnote: Zu den Anarchas gehöre ich aber auch noch) ja auch - die bürgerliche Frauenbewegung, der Kämpfe um die korrekte Schreibweise mit dem großen I weitaus wichtiger sind als die Forderung nach gleichen Löhnen für gleiche Arbeit am Fließband zähle ich nicht dazu - sind ebenso außen vor. Ich finde es wirklich unerträglich, dass in einem Höchstmaß an Ignoranz alles für irrelevant erklärt wird, was in meinem politischen Leben bisher relevant war. Ohne Orwell und Enzensberger wüsste heute niemand, dass es überhaupt den Versuch der Anarchos gegeben hat, in Katalonien eine basisdemokratisch-sozialistische Ordnung zu errichten - außer in Barcelona, wo das heute noch jedes dritte Kind weiß. Diese Genova-Perspektive ist für mich eine Mißachtung meiner Existenz.


BTW. Und dabei bin ich in feministischen Kreisen noch eine tendenzielle Verräterin, weil ich kokettieren, Männer anbaggern, weibliche Reize zielbewusst benutzen usw. nicht für verwerflich halte und einsetze. Ist das Alles jetzt stalinistisch? Dann nennt mich Stalinowa.

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