AlterBolschewik (Gast) - 14. Jan, 21:41

@"Da hilft ein schrilles Gekreische, das die Entwicklung und Ausbreitung von Gedankengängen blockiert gar nichts."

Genau das ist der Punkt, der mich an momorulez am meisten auf die Palme bringt. Und in der Regel ist das, was einen auf die Palme bringt, gleichzeitig das, was einem sehr nahe ist. Die Sprachverbote und Zensuraufforderungen, die den Diskurs von momorulez permanent durchzogen, gehören leider auch zu unserem linksradikalen Erbe der 80er. Es geht nicht nur um unpolitisches Moralisieren und eine bestimmte Klassenhaltung, sondern auch darum, daß gerade zu dieser Zeit die radikale Linke verlernt hat, ihre Standpunkte diskursiv zu verteidigen.

Statt zum besseren Argument haben wir lieber zur Trillerpfeife gegriffen, statt den politischen Gegner in der Diskussion in die Defensive zu treiben, haben wir mit Buttersäure einen Schlußstrich gezogen. Die Art der Nichtdiskussion, wie sie momorulez betreibt, ist - ob ihm das bewußt ist oder nicht - ein Erbe dieser auf rein moralischen Postulaten gründenden Diskussionsverweigerung. Grenzziehung statt Auseinandersetzung: Mit Sexisten, Vergewaltigern, Rassisten, Antisemiten etc. pp. diskutieren wir grundsätzlich nicht. Und wer Sexist, Vergewaltiger, Rassist oder Antisemit etc. pp. ist, bestimmen wir. So etwas produziert bestenfalls Gefolgschaft, aber keine Aufklärung.

Wenn ich also eins aus dieser unsäglichen Diskussion mitgenommen habe: Ich werde das Recht jedes Idioten verteidigen, seine bescheuerten, vorurteilsbeladenen, reaktionären Meinungen zum Besten zu geben. Und dann werde ich das, was er gesagt hat, nach Strich und Faden auseinandernehmen, damit er mit heruntergelassenen Hosen dasteht als das, was er ist: Ein bescheuerter, vorurteilsbeladener, reaktionärer Idiot. Anders gesagt: Ich werde das ernstnehmen, was er tatsächlich gesagt hat, und ihn nicht anhand einzelner Symptome klassifizieren und dann anhand der Klassifizierung ein feststehendes Urteil aus der Schublade ziehen.

John Dean (Gast) - 15. Jan, 11:48

Überlegungen dazu

Das Verständnis

Der regelmäßige Gebrauch von Diskurstrillerpfeifen (bzw. das damit verbundene Diskusmackertum) lässt sich imho auch verstehen, und zwar nicht nur als Bequemlichkeit, Herrschaftsgehabe und sozial/ideologisch vorbestimmter Gefolgschaftsdiskurs:

Aus Sicht von Diskriminiertenaktivisten kann es nämlich extrem lästig sein, immer wieder die gleichen Argumente bringen zu müssen, oder immer wieder neue Werbemethoden für den eigenen Standpunkt ersinnen zu müssen und noch lästiger ist es, im Argumentationsfall dann auf immer die gleichen Widerstände zu stoßen.

Mechanismus

Wenn dies einher geht mit einer kompetenten, verstehenden politischen Subszene (welche die eigenen Standpunkte teilt), dann verschiebt sich die Wahrnehmung der Außerszene-"Nichtversteher" zunehmend in die einer Art Zombies - welche man dann gekonnt zunehmend aus ersten Symptomen (bzw. dem, was man dafür hält) herausdeutet.

Es ergibt sich eine Art Falle aus Expertentum, Überdruss, eine an Symptomen orientierte Vorgefasstheit anderen gegenüber sowie eine ideologische Verschärfung/Vereinseitigung, in die sich politische Aktivisten im Laufe der Jahre hineinmanövrieren können.

Unabhängig davon kann "Trillern" auch mal ganz nützlich sein.

Der Haken

Richtig blöd wird es allerdings, wenn die Trillerfrequenz am Ende so hoch ist, dass mit beiden Effekten der komplette Diskurs (und nicht nur: die Diskussion) zerstört wird bzw., im harmloseren Fall, ein geradezu sektiererisch rigides Diskursklima resultiert.

Das aber selbst erkennen zu können, aus der Position eines radikalen politischen Aktivisten, der von der Richtigkeit der eigenen Auffassungen vollständig überzeugt ist, das ist nicht gerade einfach, zumal echte und vermeintliche politische Gegner in diesem Diskursfeld (und Nichtversteher des eigenen Anliegens bzw. der verwendeten Sprache) sehr schnell eigentlich nur noch als Störer wahrgenommen werden, z.B. als "immer die gleichen Deppen" oder als "die" Mehrheitsgesellschaftler - und jede Auseinandersetzung mit diesen nur noch als gleichermaßen müßig wie lästig empfunden wird.

Die anderen (z.B. Diskursfremde oder ideologische Abweichler) sind dann erwiesen blöd (was jahrelange Erfahrung immer wieder aufs Neue bestätigt) und die eigene Bezugsgruppe quasi die einzige Rettung - tja - und so gibt es dann aus dieser Spirale rigider Diskurspraktiken kaum noch ein Entkommen.
genova68 - 15. Jan, 13:43

"Statt zum besseren Argument haben wir lieber zur Trillerpfeife gegriffen"

Das war ja gerade wieder in Göttingen der Fall, wo solche Leute meinen, den niedersächsischen Innenminister blockieren und mundtot machen zu müssen. Es ist diese Politlächerlichkeit, die mich in meinen drei Jahren Göttingen zum unpolitischen Menschen werden ließ. Ich habe das mit 17 gegen Kohl gemacht, Trillerpfeifen, das war´s dann aber auch. Deshalb verachte ich unbewusst wohl Leute, die das mit Mitte 20 oder noch später immer noch machen.

Und ein guter Text von netbitch.

"Bei Momorulez habe ich das Gefühl, er nimmt seine BlogdiskussionspartnerInnen gar nicht als richtige Individuen wahr, sondern eher als Platzhalter für gesellschaftliche Machtverhältnisse"

So ist es, und wer Platzhalter für welches Machtverhältnis ist, bestimmt der Chef himself, Widerspruch ausgeschlossen. Ich weise gerne und den Vorwurf der arroganten Klugscheißerei in Kauf nehmend darauf hin, dass ich das ähnlich schon vor gut einem Jahr in meinem Blog ausgedrückt habe.

Dean,
du bist echt ein Phänomen, bei dir blicke ich null durch. Sei´s drum.
che2001 - 15. Jan, 17:45

"Es ist diese Politlächerlichkeit, die mich in meinen drei Jahren Göttingen zum unpolitischen Menschen werden ließ." ---- Und mich ließ die in Göttingen in eine andere Szene wechseln, das ging selbst da. Um dann da 8 sehr aktive Jahre engagiert weiter zu machen. Und es ist bezeichnend, dass das eben keine studentischen Kreise waren.
John Dean (Gast) - 15. Jan, 17:45

@ genova

"Dean, du bist echt ein Phänomen, bei dir blicke ich null durch./i>"

Stell einfach ein paar Fragen, wo du gerne mehr Durchblick gebrauchen könntest. Vielleicht kann ich ja helfen.
che2001 - 15. Jan, 19:00

Um diejenigen linken Strukturen zu beschreiben, in denen Netbitch, Workingclasshero, der Alte Bolschewik und ich solch desaströse Diskussions- und Gruppenbildungsprozesse erlebt haben deren Schilderung Momorulez wiederum für grundsätzlich falsch hält schaue man sich übrigens mal Die Volksfront von Judäa in Life of Brian an. Das trifft´s schon gut.

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