8
Sep
2006

Natascha Kampusch

Die Frau erstaunt mich total. Wie ist es möglich, acht Jahre in bis auf zeitweilige begleitete Ausflüge ununterbrochener Isohaft zu leben, in dieser Zeit die eigene Pubertät zu erleben, wiederholt mißhandelt zu werden und nicht total auszuticken? Die RAF-Gefangenen, die sich in Isohaft befanden, sind fast alle physisch krank und emotional durch den Wind, und das waren knallharte erwachsene Attentäter und keine entführten kleinen Mädchen. Bewundernswert, ganz toll, aber schwer nachvollziehbar ....

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artur_zz - 9. Sep, 00:55

die geschichte ist ziemlich unglaublich. im wortsinn.

artur_zz - 9. Sep, 01:33

http://www.antibuerokratieteam. de/?p=1062 zeigt mal wieder, dass er als kleiner drecksack nicht anders kann, als ein solcher zu sein.

netbitch - 10. Sep, 00:22

Musste der Drecksack wirklich sein? Ich finde eigentlich schön, dass dieses Beleidigungskarussell zum Stillstand gekommen ist. Natürlich führen die eine teilweise haltlose Debatte. Das Kontaktsperregesetz kam ja erst zustande, nachdem Anwälte in Kassibern Waffen und anderes in die Zellen geschmuggelt hatten. Die Haftbedingungen zumindest in Stammheim und Zweibrücken mit gezielter optischer und akustischer Deprivation (vollkommen einfarbige Zellen mit Wänden, an die nichts gehängt werden konnte, Milchglasfenster oder Sichtblenden, Licht, das von außen an- und abgeschaltet wurde, Schallisolierung) und völligem Besuchsverbot wurden von internationalen Kommissionen und, soweit ich weiß, auch ai als weiße Folter bezeichnet, und es waren nicht nur Linke und Grüne, sondern auch Liberale, die dagegen protestierten. Es war der FDP-Justizminister Klaus Kinkel, der diese Haftbedingungen abschaffte und teilweise RAF-Häftlinge zusammenlegen ließ bzw. dafür die Voraussetzungen schuf. Da sollten sich die FDP-nahen Blogger mal im eigenen Laden schlau machen. Absurd finde ich, wie da die Tatsache, dass die RAFler MörderInnen, Natascha Kampusch hingegen ein entführtes Kind war, ins Feld geführt wird, als ob es einen Unterschied macht, ob das persönliche Leiden unter Einkerkerung von den Voraussetzungen abhängig ist, die dazu führten. Ich habe ja keine Sympathie für die RAF geäußert, sondern mich nur gewundert, dass ein entführtes Kind (das inzwischen erwachsen ist) mit Isohaft emotional scheinbar besser klar kam als Straftäter, die eine Guerillakampfausbildung hinter sich hatten. In Psychologie hatte ich mich mit den Folgen von Deprivation beschäftigt, und ich kann nur sagen: äußerst erstaunlich, das alles. Ein anderes Beispiel als die RAF wäre Kaspar Hauser.
stefanolix - 10. Sep, 14:30

Gefangene

Wenn in dem Artikel schon die Aussage gestanden hätte, dass es sich bei den RAF-Gefangenen um inhaftierte Mörderinnen und Mörder und nicht einfach um normale Gefangene oder Entführungsopfer(1) handelte, wäre ich nicht so darauf eingestiegen. Der heutige Kommentar ist in dieser Hinsicht klarer und eindeutiger -- vielen Dank dafür.

Trotzdem: es gab ja auch Entführungsopfer der RAF und diese Menschen würde ich eher mit Natascha Kampusch vergleichen.

Die psychologischen Probleme der ehemaligen Terroristen kommen IMHO auch aus der Schuldbewältigung, wie ich dort schon geschrieben habe. Im Gegensatz dazu muss sich das entführte Mädchen während der Gefangenschaft nicht mit seinem Gewissen herumschlagen.

Wie man in den Kommentaren beim Antibürokratie-Team lesen kann, traten Kommentatoren auch für eine rechtsstaatliche und korrekte Behandlung der Straftäter ein. Der verlinkte "taz"-Artikel zeigt, dass der Staat da in beide Richtungen große Fehler gemacht hat: einmal gab es zu viele Freiheiten und Privilegien, dann wieder eine zu strenge Behandlung. Beides ist nicht rechtsstaatlich.

Ich denke, wenn wir hier eine Idealvorstellung der Haftbedingungen (es geht ja um 15 und mehr Jahre) entwickeln würden, lägen wir nicht so weit voneinander entfernt. Ich habe übrigens vor längerer Zeit auch schon einmal in einem Kommentar darüber nachgedacht, wie die Gesellschaft eigentlich mit Straftätern umgeht, die ihre Strafe abgesessen haben, aber in dauerhafter Sicherungsverwahrung gehalten werden müssen. Auch das sind Menschen und ich fürchte, auch da ist einiges zu hinterfragen.

----

(1) In einer Randnotiz wäre hier vielleicht daran zu erinnern, dass die RAF damals die Opfer einer Flugzeugentführung nach dem Kriterium "Juden" oder "Nichtjuden" selektiert hat.

che2001 - 10. Sep, 15:44

Moment mal, Stefanolix. Nicht die RAF hat die Opfer einer Flugzeugentführung nach dem Kriterium "Juden" und "Nichtjuden" selektiert, sondern die Volksfront zur Befreiung Palästinas - Generalkommando hat die Geiseln eines nach Entebbe entführten Flugzeugs nach der Staatsbürgerschaft selektiert, d.h. die israelischen Geiseln vom Rest getrennt, was durch deutsche Mitglieder des Kommandos erfolgte, die zu den Revolutionären Zellen (RZ) gehörten.
Israelis, die zu den Shoah-Überlebenden gehörten, erlebten dies subjektiv als zweite Selektion an der Lagerrampe.

Nachdem bei der Befreiung der Geiseln durch ein israelisches Sonderkommando alle RZ-Mitglieder den Tod fanden, löste dies einen Diskussionsprozess auf, an dessen Ende die RZ der Gewalt gegen Menschen grundsätzlich abschworen und sich auf Sprengstoffanschläge gegen Sachen beschränkten, bei denen niemand verletzt werden konnte.


Du äußerst Mitleid für Schleyer als Entführungsopfer. Also, abgesehen davon, dass ich die RAF-Attentate grundsätzlich ablehne, von der moralischen Frage abgesehen das Ganze äußerst kontraproduktiv für die radikale Linke war und dieser die Sympathien verscherzte, die sie damals in weiten Teilen der westdeutschen Bevölkerung hatte, für Schleyer als Person hält sich mein Mitgefühl in engen Grenzen. Schleyer war in der NS-Zeit ein fanatischer Judenhasser gewesen, der seine eigene Studentenverbindung verbieten ließ, weil diese sich weigerte, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen, er war in der Verwaltung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren für die Arisierung jüdischen Eigentums verantwortlich gewesen, und es bleibt ein Skandal, dass ein solcher Mann in der Bundesrepublik Deutschland zum Boss der Bosse aufsteigen konnte. Mit einem Gero von Braunmühl, einem Private Pimental oder dem MTU-Manager Zimmermann habe ich Mitleid, wie auch mit Linken, die als angebliche RAF-Leute unter die Räder der Justiz gerieten, ohne wirklich dabei zu sein, wie Peter Paul Zahl, Holger Deilke und Ute Hladki, aber nicht gerade für ihn. Im Übrigen war das damals wirklich eine hysterische Zeit. Als Bundeskanzler Helmut Schmidt die Mitglieder des Krisenstabs bat, unkonventionelle Vorschläge zur Lösung der Krise zu machen, schlug Franz Josef Strauß vor "jede Stunden einen (RAF Häftling) erschießen", ein junger Mann wurde beim Betreten einer Bank erschossen, weil er einen Atomkraft-Nein-Danke-Sticker trug und für einen Terroristen gehalten wurde, und nach der Nacht von Stammheim verbrannten die Eltern links orientierter Jugendlicher die Marx-Ausgaben ihrer Kinder ostentativ auf dem Balkon. Der Buback-Nachruf, in dem zwar von "klammheimlicher Freude" bei der Nachricht vom Tod Bubacks die Rede war, der aber in einem Aufruf gegen die Mordanschläge endete, gab Anlass zur Verfolgung aller, die diesen Text weiterverbreiteten. Diese Repressionsmaßnahmen zerstörten das Leben des Professors Peter Brückner, der sich weigerte, eine Distanzierung von diesem Text zu unterschreiben, zu der von Staats wegen Hochschullehrer genötigt worden. Im Stern erschien damals ein Artikel, in dem über die Wiedereinführung der Todesstrafe nachgedacht wurde. Das war Deutschland im Herbst 1977.
stefanolix - 10. Sep, 17:36

Die Entführung dieses Flugzeugs durch palästinensische Terroristen und deutsche Mitglieder der Revolutionären Zellen sollte aber der Freipressung von RAF-Teroristen und von Terroristen aus der "Bewegung 2. Juni" dienen. Meine Aussage oben ist also wirklich nicht korrekt, aber ein ziemlich enger Zusammenhang zur RAF ist vorhanden. Ich hatte heute einen F.A.S.-Artikel von Rafael Seligman gelesen, in dem stand: "Als deutsche Terroristen 1976 die jüdischen Passagiere einer Air-France-Maschine [...] selektierten ..." und ich hatte mich an die Forderungen nach Freilassung inhaftierter Terroristen erinnert. OK. Das nächste Mal schlage ich in weiteren Quellen nach.

Deine Behauptung zu Schleyer ("fanatischer Judenhasser") werde ich deshalb in den nächsten Tagen weiterverfolgen und mich auch aus anderen Quellen informieren. Auch mit dem Buback-Aufruf, den Reaktionen und der Zeit danach werde ich mich gern gründlicher befassen. Vielen Dank für die Anregungen. Aber bei meiner Meinung zum Artikel bleibe ich trotzdem.

Trotzdem: Ihr verlangt vom Staat, dass er hohen Ansprüche an die Behandlung der RAF-Gefangenen genügen soll. Ihr geht aber zu wenig darauf ein, wie die RAF-Terroristen mit ihren Opfern umgegangen sind. Selbst wenn Schleyer wirklich ein fanatischer Judenhasser gewesen wäre, rechtfertigte das nicht die Entführung, Folter [ja, das war nach den heutigen Maßstäben Folter!] und Ermordung. Darin sind wir uns doch hoffentlich einig?

Interessant an der Begebenheit bei der Flugzeugentführung ist ja, dass unter den Terroristenkollegen und RAF-Unterstützern ganz offensichtlich fanatische Judenhasser waren. Da würde man sie nicht unbedingt erwarten, oder(?)

@Netbitch, Che2001: Vielen Dank für die Diskussionsmöglichkeit, eine gute Woche und bis bald.
monoma - 10. Sep, 16:07

naja...

...erstens lässt sich derzeit noch absolut nichts über die tatsächlich vorhandenen schäden sagen, die in solchen fällen auch erst mit einiger verzögerung auftreten können - momentan wird die frau ja faktisch zu einer ständigen auseinandersetzung mit einer überflutenden äusseren realität gezwungen.

ein anderer punkt ist aber auch, dass kinder - und das war sie bei der entführung - sich auf solche gewaltsituationen offensichtlich in gewisser hinsicht anders einstellen können als erwachsene - anders, nicht unbedingt besser. was meistens segen und fluch zugleich ist, weil ebenso meistens die schäden wie gesagt mit verzögerung und/oder "maskiert" auftreten.

ps. @che: danke für den obigen beitrag.

netbitch - 10. Sep, 17:27

Ich finde bemerkenswert, was das Reizwort "RAF" ein gutes Dutzend jahre nach dem Ende dieser Organisation noch immer auslöst. Ich hatte ja gar nichts über die RAF selber geschrieben, sondern nur die subjektive Situation von deprivierten Eingekerkerten verglichen, jenseits irgend einer moralischen Wertung.
che2001 - 10. Sep, 19:33

Antimperialismus, Antisemitismus und Adorno

Stefanolix, ich halte durchaus für denkbar, dass kein einziger Angehöriger des Kommandos, das das Flugzeug entführt hat, Juden gehasst hat. Dies setzt ja Antisemitismus voraus, also eine Rassentheorie, in der Juden kollektiv negative Charaktereigenschaften angedichtet werden. Die PFLP/GC- und RZ-Leute waren aber marxistische Antiimperialisten, die für sich deklarierten, sich mit dem Staat Israel im Krieg zu befinden. Sie hatten nichts gegen Juden, weil diese Juden sind. Im gängigen Weltbild der Antiimps wurde Israel als Implantat US-amerikanischer Wirtschaftsinteressen in der arabischen Welt und das Besatzungsregime in den Westbanks, neben der südafrikanischen Apartheid und den letzten Kolonialregimen, die es damals noch gab (z.B. Portugal in Angola und Mozambique, das mit Südafrika und Großbritannien verbandelte Ian Smith - Regime in Rhodesien) als eine aktuelle Form rassistischer Unterdrückung und somit faschistoid angesehen. Die Vorstellung der "antiimperialistischen Front" war, durch die gewaltsame Durchsetzung eines sozialistischen Palästinenserstaates, gleichzeitig den Sturz des Apartheidregimes, die Niederlage Portugals in Afrika, Großbritanniens in Nordirland, Spaniens im Baskenland, der USA in Südostasien und an der Heimatfront gegen die Black-Power-Riots eine Situation herbeizuführen, die das westlich-kapitalistische Weltsystem so schwächt, dass ein Umsturz in Richtung einer blockfrei-sozialistischen Gesellschaft möglich ist. Ein politisch absurdes Konzept, weil es die Rechnung ohne die Massen, ohne die sozialen Bewegungen, ohne die Normalbevölkerung in den Ländern macht. Die zweite Strömung in der radikalen Linken neben den Antiimperialisten, die Sozialrevolutionäre (denen ich angehörte) hat dieses Konzept stets als absurd kritisiert und sich auch gegen die Fixierung auf sozialistische Staaten im Trikont (der "Dritten Welt") oder bestimmte Guerrillagruppen gewandt. Es hat eine Debatte über "linken Antisemitismus" gegeben, an der ich selbst teilgenommen habe. Dabei ging es grob gesagt um Folgendes: Vor 1967 wurde Israel und wurden die Juden von der deutschen Linken idealisiert - die Juden, weil sie Opfer der Nazis waren und Israel nicht zuletzt wegen der Kibbuzim, in denen man ein alternatives Modell für Sozialismus sah. Nach dem Sechs-Tage-Krieg kippte das schlagartig um. In dem Augenblick, in dem Israel als Agrressor und harte Besatzungsmacht auftrat, solidarisierte sich die antiimperialistische Linke reflexartig und selbstverständlich mit den Palästinesern, ohne groß zu diskutieren, inwieweit sich Israel geändert hätte bzw. neu zu bewerten sei. Die Tupamaros Westberlin gingen dabei so weit, ein jüdisches Gemeindezentrum anzugreifen, sie unterschieden also nicht zwischen Israel und den Juden. Der Vorwurf des linken Antisemitismus beinhaltet nun keinen Antisemitismus im Sinne einer Rassen- oder Weltverschwörungstheorie, sondern eher etwas, das sich als Israel-Komplex bezeichnen lässt. Indem der Staat Israel projektiv als besonders imperialistisch überzeichnet wird, der Zionismus zum neuen Faschismus erklärt wird, entsorgen deutsche Linke die selbstkritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Strukturen in der deutschen Gesellschaft und im eigenen Denken (die nach Adorno durchaus ohne Juden auskommen können, da die Elemente des Antisemitismus komplexe Vorurteilsstrukturen beinhalten, bei denen "der Jude" austauschbar ist, Antisemitismus also eine gesellschaftliche Matrix für Vorurteilsbereitschaft und autoritäres Verhalten beinhaltet, von dem auch die Strukturen linker Gruppen nicht ausgenommen sind). Zum anderen offenbart die Tatsache, dass Israel im Krieg und als Besatzungsmacht als ausschließlich böse betrachtet wurde, die Juden in der Opfer- oder auch Widerstandsrolle hingegen als positive Identifikationsfigur, dass man offensichtlich Juden/Israelis nicht das gleiche Maß an Aggression zubilligen wollte wie Anderen - denn zur gleichen Zeit hielten ja die IRA unterstützende Antiimps nicht Großbritannien als Land für böse. Juden bzw. Israel erschienen hier also als Objekt einer Projektion, nicht als Glaubensgemeinschaft oder Staat, mit denen man sich rational und frei von Komplexen auseinandersetzte. Aus dieser hochabstrakten und die Kenntnis Freuds voraussetzenden Konzeption wurde in der Öffentlichkeit igendwann das platte Klischee, die antiimperialistische Linke in ihrer Gesamtheit sei antisemitisch, bis hin zur projektiven Überhöhung und Glorifizierung Israels bei den Antideutschen, die aus meiner Sicht den sogenannten linken Antisemitismus in einer sehr platten Form übernehmen und um 180 Grad umdrehen, ähnlich wie Satanisten das mit dem Katholizismus machen.
netbitch - 10. Sep, 22:49

Stefanolix, ich verlange vom Staat gegenüber den RAF-Gefangenen erstmal explizit gar nichts. Die ganzen Hungerstreik-Soli-Aktionen waren vor meiner Zeit. Meine Beschäftigung mit der psychischen Situation von Isolationshäftlingen spielte sich primär im Rahmen meines Psychologiestudiums ab, im Vergleich von RAF-Gefangenen, H-Block-Häftlingen in Nordirland und Incommunicado-Gefangenen der Tupamaros in Uruguay.
Che, vielleicht legst Du mal dar, wer nun die judäische Volksfront usw. im Einzelnen waren oder sind, das weiß heute nämlich kaum noch jemand.
workingclasshero - 10. Sep, 23:36

Das ist ja eine hochinteressante Debatte: Aus einem völlig anderen Thema, nämlich der psychischen Situation eines Entführungsopfers, entwickelt sich Off-Topic eine Diskussion über Antiimperialismus und seine Irrungen-Wirrungen, die ich so auf den Punkt gebracht noch nirgendwo gelesen habe. Respekt!
netbitch - 11. Sep, 11:03

Zu dem beim Antibürokratieteam verlinkten Artikel ist im Übrigen zu sagen, dass dieser ziemlich reduktionistisch ist. Es stimmt sicher, dass die RAF eine sehr medienwirksame Inszenierung ihrer Haftbedingungen betrieb. Und es mag sein, dass Bubecks Beschreibung der Haftbedingungen zutreffend ist. Das sagt aber nichts darüber aus, was vorher geschehen war (in dem Text ist von Isolationshaft bei ständig angeschaltetem Licht im Falle Ulrike Meinhofs die Rede, zur gleichen Zeit wurde Ilse Schwipper in Isolationshaft gehalten) oder was hinterher geschehen sollte. Aber wie gesagt: Ursprünglich war die Tatsache, dass Natascha Kampuschs seelische Verfassung angesichts des erlittenen Grauens erstaunlich ist, mein Thema.
che2001 - 11. Sep, 13:53

Die judäische Volksfront

Ursprünglich hatte sich die palästinensische Linke bevorzugt im MAN, dem Movement of Arabian Nationalists, organisiert, einer in Ägypten domizilierten politischen Bewegung, die einen idealisierten Panarabismus vertrat.Zentrale Vorstellung war, dass eine Vereinigung der ganzen arabischen Welt von Marokko bis Irak in einem einzigen sozialistischen Staat alle sozialen Probleme der arabischen Welt lösen würde. Nach dem Sechstagekrieg wurden für die Palästinenser schlagartig diesseitigere, nämlich konkret Palästina-bezogene Themen wichtig, und der palästinensische Teil des MAN zerfiel zu verschiedenen Parteien, nämlich der Palästinensischen Befreiungsfront (PLF), der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) und der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas (DFLP). Während dies politische Parteien waren, die bewaffnete Milizen unterhielten, gab/gibt es noch einige Splittergruppen, die reine Guerrillatrupps waren, wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas/Generalkommando (PFLP/GC) und die Fatah/Revolutionärer Rat (Abu Nidal-Organisation), von denen Letztere sich zu einem Auftragskiller-Unternehmen entwickelte. Die PFLP war kommunistisch im sowjetischen Sinne, die DFLP hatte eine maoistische Phase und orientierte sich ansonsten an Kuba und Algerien. Während die PFLP das organisierte Flugzeugentführen mehr oder weniger erfand, wurde die DFLP kaum durch große spektakuläre Anschläge bekannt. Der Dialog zwischen Israel und den PalästinenserInnen kam weitgehend durch die DFLP zustande, die ein Existenzrecht Israels immer anerkannt hatte, heute gehört sie jedoch zu den Gegnerinnen des Oslo-Prozesses. Dies hängt mit ihrer Mitgliederbasis zusammen, die fast ausschließlich aus in Europa lebenden Exilanten besteht, da das Friedensabkommen kein Rückkehrrecht nach Palästina vorsieht. PFLP und PFLP/GC arbeiteten in den 70ern und 80ern mit RAF, 2.Juni, RZ und Action Directe zusammen. Die islamistischen Gruppen wie Hamas wurden ursprünglich u.a. vom saudischen Geheimdienst aufgebaut, um diesen Gruppen die Anhängerbasis abzugraben - mit nachhaltigem Erfolg.
che2001 - 11. Sep, 14:11

@stefanolix: Dass die Ermordung Schleyers gerechtfertigt gewesen wäre habe ich nicht behauptet. Ich halte die ganze RAF für einen gewaltigen Fehler und wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich für diesen Mann als Person aufgrund seiner Vorgeschichte weitaus weniger Mitleid aufbringe als für Andere.
workingclasshero - 11. Sep, 15:49

@monoma, netbitch: Bei Kindern ist es oftmals erstaunlich, mit welcher Vitalität diese grauenhaften Situationen begegnen. Trotzdem ist mir diese Kampusch-Geschichte ganz schwer nachvollziehbar. Ist sie in den 8 Jahren nie krank gewesen? Musste sie nicht zum Zahnarzt? Hatte ihr Peiniger Helfer? Wie hat sie sich in der Einkerkerung weitergebildet, dass sie so reden kann, wie sie es tat? Entweder es gibt da sehr viele Ungereimtheiten, oder es muss eine äußerst faszinierende Geschichte sein (bei allem Grauen).
netbitch - 11. Sep, 16:12

@workingclasshero: Willst Du damit sagen, das war ein Medienfake?
workingclasshero - 11. Sep, 16:33

Nicht unbedingt. Aber entweder muss der Entführer ein ganzes Netzwerk organisiert haben, um sein Opfer zu versorgen, oder sie muss irgendeinen Kanal gehabt haben, um die Außenwelt wahrzunehmen, auch Möglichkeiten, sich zu bewegen. Ich will einfach nur sagen: da ist vieles unklar und auf den ersten Blick nicht plausibel.
monoma - 11. Sep, 16:48

@workingclasshero:

es gibt etliche beispiele für extremsituationen, in denen das verhalten der protagonistInnen für außenstehende ebenfalls auf den ersten blick nicht plausibel ist.

ich finde gerade diese geschichte nicht so erstaunlich vor dem hintergrund, dass sie bereits als kind entführt wurde - der täter muss, zumindest intuitiv, einiges von manipulation verstanden haben. die suiziddrohungen ihr gegenüber bspw. sind eine art von emotionaler erpressung gewesen, bei denen ich selbst erwachsene menschen kenne, die mit der gleichen drohung bzw. manipulativen absicht konfrontiert wurden - und sich daraufhin in einer position absoluter hilflosigkeit fanden, in der sie den fremden willen völlig erfüllten. das ist von außen nur solange unverständlich, wie man(n) sich nicht die intensität bspw. von schuldgefühlen klarmacht.

natascha hat irgendwo von einer art fluchtversuch berichtet, als der entführer einmal nicht anwesend war - nach eigener aussage kam sie bis vor die haustür, wurde dann von panik und schwindel befallen. auch das ist nicht unverständlich, sondern als folge sozialer deprivation imo durchaus nachvollziehbar.
netbitch - 11. Sep, 17:01

Ich weiß; das zu lesen war wirklich heftig und erinnerte mich an Alpträume, die ich als kleines Kind hatte. Dieses elementare Erlebnis der Hilflosigkeit ist mir sehr gut nachvollziehbar.
che2001 - 11. Sep, 19:59

Hast du DAS gelesen?

Kommentar von Ralph!

http://www.antibuerokratieteam.de/?p=1062
artur_zz - 11. Sep, 21:40

spätestens nach dem kommentar von "ralph" und der dankenden zustimmung durch hecht dürfte sich die frage danach, ob mein diktum sein musste, erledigt haben.

wenn nein, bin ich gerne bereit, mich zu entschuldigen.

loellie - 11. Sep, 23:11

Ist die Rechtsfront mal wieder in Progromstimmung?
netbitch - 11. Sep, 23:25

Ach Jungs, wollen wir uns über solchen Pipifax echauffieren oder lieber ein Glas auf die zeitlose Schönheit des reinen Unsinns erheben?
*Eisstücke in den Caipi schüttet*
darkrond - 11. Sep, 23:27

machst du mir auch einen? bitte. :-)
netbitch - 11. Sep, 23:38

Bütteschön!
*servier*
darkrond - 12. Sep, 00:12

*tschlugg* ah, sehr fein. vielen dank. :-)
stefanolix - 12. Sep, 10:47

Isolationshaft

Zuerst vielen Dank an Netbitch für die Moderation. Vielen Dank auch an Che für die langen Erklärungen und eine klare Aussage zu Schleyer. Ganz offenbar ist die Wertung der RAF-Aktivitäten und auch die Möglichkeit des Sich-Hineindenkens sehr stark von der Sozialisation der Diskussionsteilnehmer abhängig.

Ich bin eben teilweise bürgerlich, teilweise christlich und teilweise durch die Kinder- und Jugendzeit in der DDR geprägt -- auch wenn ich Che2001' Ausführungen lese und weitere Quellen zu Rate ziehe, werde ich nie die Erfahrung ersetzen können, die er wohl mit nahezu allen linken Gruppierungen hat. Ich kann (und will) mich auch nicht in die Unterstützer und das Umfeld hineindenken, weil diese gesamten Verbrechen nicht zu rechtfertigen sind. Darin bin /ich/ nun mal radikal, tut mir leid.

Inzwischen wurde auch in der anderen Diskussion viel gesagt. Den Stil des Kommentars von 'ralph' akzeptiere ich nicht. Aber im Kern ist die zeitweise Isolationshaft genausowenig rechtsstaatlich wie die Zustände, die im taz-Artikel über Stammheim beschrieben sind.

Che schrieb über Mitleid: auch dazu gäbe es viel zu sagen. Instinktiv habe ich mit denen Mitleid, die zufällig als [teilweise scheinbare] RAF-Sympathisanten in die Mühlen des Staates oder der Medien gerieten. Auch in der DDR gab es Menschen, deren Leben zerstört wurde, weil der Staat sie an einem falschen Ort angetroffen hatte. Und ich finde, dass Heinrich Bölls "Katharina Blum" ein mutiges Buch war. Für die wirklichen Täter und Mittäter meine ich: sie sollen auf jeden Fall rechtsstaatliche und menschlich angemessene Behandlung erfahren, aber sie haben kein Mitleid verdient.

Netbitch schrieb, dass es ein liberaler Minister war, der wieder für angemessene Haftbedingungen sorgte. Auch zur Behandlung der toten RAF-Terroristen nach dem Selbstmord ist ja eine interessante Passage in dem taz-Artikel enthalten. Wenn ich in dieser Situation gewesen wäre, hätte ich auch eher an die Lehre aus der Antigone gedacht, als dass ich die Toten über den Tod hinaus verfolgt hätte.

che2001 - 12. Sep, 11:47

Tja, Stefanolix, zwischen uns ist eben sehr wohl eine sachliche und faire Diskussion möglich, und ein Pflegen des rationalen politischen Diskurses ist in dieser wirren und chaotischen Welt ja sehr nötig. Zu dem taz-Artikel möchte ich anmerken, dass er ja auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Wenn man "Stammheim" von Pieter Bakker-Schut liest (für mich das eigentliche Standardwerk zum Thema, und nicht "Der Bader-Meinhof-Komplex), so stellt sich das schon etwas anders dar.
Einerseits gab es natürlich die Steuerung der RAF aus dem Knast heraus und die Anwälte, die Waffen u.a. in Kassibern einschleusten, andererseits aber auch Verfahrensbrüche seitens der Bundesanwaltschaft.
Auch in dem taz-Beitrag geht es aber in erster Linie darum, dass die eigentliche Bader-Meinhof-Gruppe in Stammheim ihre Haftbedingungen propagandistisch skandalisiert und inszeniert hat und dass der Herr Bubeck als Person stets integer und um ein rechtsstaatliches Verfahren bemüht war. Das heißt noch lange nicht, dass es im Zusammenhang mit der RAF immer und überall rechtsstaatlich OK zugegangen ist. Dass Ulrike Meinhof vor Stammheim Isolationshaft mit ununterbrochenem Dauerlicht ausgesetzt war (netbitch nannte das schon), das wird dort erwähnt, ebenso wie die Tatsache, dass verfahrenswidrig der Besucherraum abgehört und Bader in dieser Hinsicht belogen wurde. Es wären noch mehr Dinge zu nennen, ich erinnere mich zum Beispiel an Bernd Rössner (oder Rösler? Ich weiß nicht mehr, ob ich den Namen richtig in Erinnerung habe), der Ende der 80er Jahre schwerste Deprivationsschäden hatte, die auf Isolationshaft zurückzuführen waren. Dann das Celler Loch.....

Das Ganze ist eine komplizierte, verwickelte Angelegenheit, die bis heute nicht vollständig aufgearbeitet wurde. Das in der taz erwähnte Buch wirft darauf eine interessante Perspektive, aber es ist auch nur eine Facette von vielen und auch nicht unumstritten.

vgl. hier, wobei auch auf Einiges im Diskussionsverlauf schon Angesprochene nochmal ein gewisses Lichtv geworfen wird: http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3937667105

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/15/15715/1.html

http://www.graswurzel.net/271/schwipper.shtml


Dass die Frage, was da nun wirklich los war und ob die Leute fair behandelt wurden oder nicht, loszulösen ist von der Beurteilung der RAF selber ist für mich hierbei unstrittig. Ich rechtfertige auch keine Morde und habe das auch nie getan. Insofern kann ich den hysterischen Ausbruch des Herrn Ralph nur unfreiwillig komisch finden; dass mir unterstellt wird, ich trüge schlechtsitzende Anzüge, ist allerdings schon ein ziemlicher Hammer ;-)
netbitch - 12. Sep, 15:43

@stefanolix: Ich schätze mal, dass das für Dich als Ossi unter zeithistorischen Gesichtspunkten ganz anders wahrgenommen wird als das bei uns im Westen der Fall war, ähnlich wie wir keinen Bezug zur Stasi haben.

@che: Als liebenswürdig-naiv würde ich mich auch nicht bezeichnen. Aber zu Rostock sollte jemand lieber den Mund halten, der nicht weiß, was für eine Rolle Leute wie wir zu diesem Zeitpunkt gespielt haben.
che2001 - 13. Sep, 09:38

Back to Kampusch

"Frontal" von gestern abend macht die Sache etwas klarer. Demzufolge war der Fernsehauftritt bis ins Letzte einstudiert und vorchoreografiert, psychologisch vorbereitet und Alles, eine gezielte Inszenierung, die gemacht wurde, um Natascha künftig vor Sensationsreportern und Paparazzi zu schützen.
loellie - 13. Sep, 10:46

Und genau das ging mir auch die ganze zeit durch den kopf.

Einerseits haette es durchaus sein koennen, dass der Auftritt ihre Art des verarbeitens ist, andererseits ist es wohl unmoeglich in ihrer Situation der Presse zu entkommen, es sei denn sie versteckt sich. Und "versteckt" war sie nun wirklich lange genug.
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